Himmel ueber fremdem Land
zerren.
»Demy?« Fragend blickte er von der ihm vertrauten Person auf ihre beiden nicht minder vornehm und aufwendig gekleideten Begleiterinnen.
»Das ist Lieselottes Bruder Willi. Willi, dies sind zwei Freundinnen von mir, Margarete Pfister und Lina Barna.«
Unschlüssig standen die drei da, bis Margarete sich ein Herz fasste und dem Burschen ihre Rechte entgegenstreckte. Der nahm sie, schüttelte sie kräftig und streckte nun seinerseits Lina seine Hand hin. Auch sie erwiderte den Handschlag.
»Barna? Sind Sie mit Professor Barna verwandt, Fräulein?« Die drei Damen schauten den Jungen verwundert an. Dieser zuckte mit den Achseln und meinte: »Der Schlafbursche hat mir von ihm erzählt. Anton ist ein gescheiter Kerl, der viel von Einstein liest und sich heimlich in Vorlesungen von Professor Barna schleicht.«
»Euer Schlafbursche versteht etwas von Physik? Und er schleicht sich in die Universität und besucht dort Vorlesungen?« Ungläubig schüttelte Demy den Kopf, Lina hingegen lachte fröhlich auf.
»Der gefällt mir! Es kostet sicher viel Mut, sich in die Vorlesungssäle einer Universität zu stehlen!«, gluckste sie.
»Demy!« Dicht gefolgt von Peter lief Lieselotte über den Hof, hielt in respektvollem Abstand an und knickste. Ihre grauen Augen richteten sich fragend auf Demy. Diese beeilte sich, die drei jungen Damen miteinander bekannt zu machen.
Zu Demys Freude saßen sie kurz darauf auf einer mit einer grünlichen Moosschicht überzogenen Holzbank am Rande des Innenhofs und unterhielten sich. Lieselotte war eine ebenso begeisterte Leserin wie die drei anderen Mädchen, und wenngleich sie keine so große Auswahl gelesen hatte wie diese, war doch unverzüglich ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden. Letztendlich schlug Margarete vor, Lieselotte solle doch einmal an einem Treffen ihres Lesezirkels teilnehmen.
»Fräulein Pfister, das kann ich nicht. Sie meinen es gut. Ich danke Ihnen für die freundliche Einladung, aber sehen Sie mich doch an!« Bei diesen Worten fuhr Lieselotte sich über ihr derbes graues Baumwollkleid, von dem Demy wusste, dass es sich dabei um das beste Stück aus ihrer karg ausgestatteten Kleiderkiste handelte.
»Aber Fräulein Scheffler, wir unterhalten uns dort über Literatur, teilweise über Stücke von Schriftstellern, welche ihr Leben lang gegen ihre Armut ankämpfen mussten, nicht über die neueste Mode.«
Lieselotte richtete sich auf. »Das mag auf Demy und auf Sie und Fräulein Barna zutreffen, aber können Sie vorausahnen, wie andere Mitglieder Ihres Zirkels reagieren würden? Ich lese gern. Und ja, ich würde mich mit Freuden über das Gelesene austauschen oder, das gebe ich offen zu, mir eine Möglichkeit eröffnen, an Bücher heranzukommen, die ich sonst nie hätte. Aber ich möchte mich nicht zum Objekt des Spotts in einer aufgebrachten oder gar entsetzten Gruppe wohlhabender Damen machen.«
»Ich kann Lieselottes Befürchtungen gut verstehen«, murmelte Demy, wieder einmal an ihre Heimlichkeiten erinnert.
Betroffenes und auch hilfloses Schweigen senkte sich auf die Mädchen. Lange Zeit drangen nur die Rufe der Fußball spielenden Zwillinge durch den düsteren Innenhof.
Schließlich trat Anton aus der Haustür, von begeisterten Ausrufen Willis begrüßt. Der junge Mann spielte ein paar Minuten mit den Zwillingen, ehe er an den Damen vorbei zur Arbeit eilen musste.
Prompt raffte Lina ihren Rock, stand auf und trat dem jungen Mann in den Weg. Der betrachtete sie mit einem fragenden Blick und schaute dann Hilfe suchend zu Lieselotte. Noch ehe Lieselotte ihm zu Hilfe eilen konnte, sprach Lina ihn an: »Mir wurde zugetragen, Sie verstehen sich auf Physik?«
»Ob ich mich darauf verstehe, kann ich nicht sagen. Aber Physik interessiert und begeistert mich, das stimmt.«
Diesmal warf er Lieselotte einen deutlich missbilligenden Blick zu, woraufhin das Mädchen errötete. Offensichtlich gefiel es Anton nicht, dass die vornehmen Damen von seiner heimlichen Leidenschaft erfahren hatten.
»Mein Name ist Lina Barna, ich bin die Tochter von Professor Walter Barna.«
»Und?«, fragte Anton ruppig, obwohl sein Gesicht deutliches Interesse widerspiegelte.
Sichtlich aus dem Konzept gebracht stotterte Lina: »Vielleicht … ich meine, ich könnte … Wenn Sie einen Studienplatz brauchen …«
»Ich muss arbeiten, um zu überleben. Ich habe zwar mein Abitur, kann mir aber seit dem Tod meiner Eltern ein Studium nicht mehr leisten. Und jetzt muss ich los, damit dieser
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