Himmel ueber fremdem Land
auf.
Aus ihren runden braunen Augen, die Anki an reife Kirschen erinnerten, schaute Jelena sie fragend an.
»Du beherrscht diesen Satz auch auf Deutsch, das weiß ich.«
Das Kind lächelte und zeigte eine Reihe ebenmäßiger weißer Milchzähne. In nahezu akzentfreiem Deutsch wiederholte die Fünfjährige den Satz und freute sich über das anerkennende Lächeln ihres Kindermädchens. Sollte Jelena tatsächlich eines Tages die Möglichkeit bekommen, mit Anastasia Romanow zu spielen, könnten sich die beiden einen Wettstreit in möglichst akzentfreien Fremdsprachen liefern. Ankis Freundin Ljudmila hatte ihr erzählt, die jüngste Zarentochter sei ein Sprachgenie, was sie jedoch hauptsächlich nutzte, um die Gäste ihrer Eltern nachzuäffen.
Prompt erkundigte sich Jelena: »Sagst du ihn mir auf Niederländisch?«
Da sie ihren Spaß an der Lernfreude des Kindes hatte, wiederholte Anki den Satz in ihrer Muttersprache, und Jelena sprach ihn mühelos nach. Ihre beiden Schwestern kicherten belustigt über die fremd klingenden Worte.
Während unter ihren Schuhen bei jedem Schritt der Kies knirschte, blitzte über ihnen die Sonne durch die Äste, an denen sich die ersten grünenden Knospen zeigten. Auf den Wiesenflächen, an vielen Stellen noch unansehnlich braun, streckten zarte weiße Schneeglöckchen und violette, gelbe und weiße Krokusse die Köpfe hervor. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis nach dem eisigen Winter die Natur beinahe explosionsartig zum Leben erwachte.
Ihrem Temperament entsprechend, begrüßte Jelena die Farbtupfer mit überschäumender Begeisterung. Die kleine Schar zog es zum Schwanenkanal hinüber, dort stellen sie aber enttäuscht fest, dass die Schwäne noch nicht in den Norden zurückgefunden hatten. Dafür entdeckten die Mädchen jubelnd die erste der antiken italienischen Marmorstatuen, die nach dem Winter aus ihren schützenden Holzkisten befreit worden waren.
Immer weiter zog es sie in den Park hinein, vorbei an noch wasserlosen, wie erstarrt wirkenden Springbrunnen, Denkmälern und Sitzgelegenheiten.
»Bitte, Fräulein Anki, singen Sie mit uns noch einmal das Frühlingslied«, bat Jelena, und Katja fiel begeistert in ihre Bitte mit ein.
Anki lachte und stimmte die Mozart-Melodie zu dem Lied » Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün« an. Die drei Mädchen und auch Tilla sangen lauthals mit. Bei der zweiten Strophe ergriff Jelena Katja an den Händen und die beiden tanzten vergnügt weitersingend im Kreis herum. Die Röcke unter den Mänteln wirbelten auf und wirkten wie die bunten, sich der wärmer werdenden Sonne entgegenstreckenden Blüten, von denen sie sangen.
Bis zum fünften Vers hatten sich etliche Zuschauer bei ihnen eingefunden. Damen mit ihren Begleiterinnen schwenkten fröhlich ihre Sonnenschirme im Takt der Musik, drei Mädchen und ein Junge, einfach, aber sauber und ordentlich gekleidet, drehten sich ebenfalls im Kreis, und mehrere Herren mit Zylindern und vornehmen Gehröcken unter den Kaschmirmänteln standen dabei und betrachteten lächelnd die muntere Schar.
Ein Uniformierter näherte sich eilig, blieb aber im Hintergrund, als er die fröhliche Runde und die tanzenden Kinder sah.
»Noch ein Lied! Noch ein Lied!«, bettelten Jelena und Katja in Deutsch und die hinzugekommenen Kinder riefen: »Pozhalujsta, pojte dalshe 2 ?«
Sich plötzlich der Aufmerksamkeit bewusst werdend warf Anki einen unbehaglichen Blick in die Runde. Sie wollte nicht im Mittelpunkt stehen, doch ihre Schützlinge ließen ihr keine Wahl, denn sie stimmten bereits, wenn auch nicht ganz richtig, » Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt« an. Anki war mit einer wunderschönen Stimme gesegnet und half, die richtige Tonlage zu finden, und schon tanzten die Kinder, diesmal alle gemeinsam, um eine Marmorstatue.
» Die Bäu’rin, die Mägde, sie dürfen nicht ruh’n.
Sie haben in Haus und Garten zu tun.
Sie graben und rechen und singen ein Lied.
Sie freu’n sich, wenn alles schön grünet und blüht.
So geht unter Arbeit das Frühjahr vorbei.
Da erntet der Bauer das duftende Heu.
Er mäht das Getreide dann drischt er es aus.
Im Winter da gibt es manch fröhlichen Schmaus.«
Die erwachsenen Zuschauer klatschten, während die Kinder sich wieder losließen und einander atemlos betrachteten, als bemerkten sie erst jetzt, dass sich einfache Arbeiterkinder gemeinsam mit der Aristokratie des Landes vergnügt hatten. Die Arbeiterkinder grinsten verlegen und rannten dann davon,
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