Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
einem Mal herrschte gespenstische Stille. »Du bist ein widerliches Schwein, Seliger!« Ellart schlug ihm mit seinem Handschuh ins Gesicht. »Ich verlange Satisfaktion.«
Ellart bat Meinhard, ihm zu sekundieren. »Es wird das letzte Mal sein, dass ich dich um etwas bitte«, sagte er.
»Gibt es keine Möglichkeit einer Entschuldigung seitens Seligers?«, fragte Meinhard pflichtgemäß.
»Nein, meine Entscheidung ist unwiderruflich.«
»Ich bedauere das, Ellart, wirklich.« Am Spätnachmittag des nächsten Tages erwartete Meinhard Ellart bereits auf seiner Stube. »Ich habe deine Forderung überbracht. Benno von Marken sekundiert Seliger. Er ist nicht sehr glücklich darüber, konnte aber schlecht ablehnen. Übrigens, auch Seliger lehnt eine gütliche Beilegung des Streits ab. Du weißt, wir mussten das fragen.«
»Selbstverständlich. Was verlangt er, Pistole oder Säbel?«
»Pistole, drei Schuss, zehn Schritt.«
Ellart nickte. »Alles Weitere besprich bitte du mit Benno.«
Es war ein trüber, nebeliger Morgen Anfang März, als die Kontrahenten auf einer Lichtung in einem abgelegenen Wald außerhalb Potsdams aufeinandertrafen. Der Boden war aufgeweicht, vor ein paar Tagen hatte hier noch Schnee gelegen. Die gegnerischen Parteien begrüßten sich lediglich mit einem kurzen Nicken. Außer den beiden Sekundanten waren ein Arzt und als Unparteiischer Leutnant von Seelem dabei, der gemeinsam mit den Sekundanten die Aufgabe hatte zu prüfen, ob die Waffen identisch waren. Außerdem würde er die ordnungsgemäße Durchführung des Duells überwachen. Nachdem Leutnant von Seelem die zehn Schritt abgemessen und markiert hatte, öffnete er ein glänzendes, mit kostbaren Einlegearbeiten verziertes Mahagonikästchen. Auf rotem Samt lagen die beiden Waffen, blankgeputzt mit dunklen Holzgriffen. Die beiden jungen Männer nahmen Rücken an Rücken in der Mitte der markierten Stelle ohne eine Regung die Waffen entgegen. Auf ein Kommando hin gingen sie los. Als Ellart sich umdrehte, blickte er in Jakobs hassverzerrtes Gesicht. Nur eine Zehntelsekunde zögerte er. Gleich der erste Schuss von Jakob Seliger traf ihn tödlich.
Die Familie Kaulitz war gerade fertig mit dem zweiten Frühstück. Während Jesko und Ferdinand sich hinter ihren Zeitungen verschanzten, sprachen Aglaia und Elvira über Clemens’ bevorstehende Rückkehr.
»Gott sei Dank, Kind«, sagte Elvira, »es wird auch langsam Zeit. Wir müssen die Gästeliste für eure Hochzeit zusammenstellen, wenn ihr im Mai heiraten wollt. Alles muss gut organisiert und vorbereitet werden. Ach, ich bin wirklich mächtig gespannt, wo du einmal wohnen wirst.« Sie machte ein trauriges Gesicht. »Ich werde dich schrecklich vermissen. Hoffentlich ist es nicht allzu weit weg.«
Jesko blickte vorwurfsvoll über den Zeitungsrand. »Musst du immer wieder davon anfangen, Elvira?«
»Lass man, Papachen, ich werde euch ja auch vermissen«, besänftigte Aglaia ihn.
Der Diener betrat den Raum. »Eine Depesche für Graf Ferdinand.«
»Nanu, wer depeschiert mir denn heute schon?« Als er die Nachricht überflogen hatte, wurde sein Gesicht kreidebleich. »Um Gottes willen! Es ist von Kraft zu Hohenlohe … Ellart ist in einem Duell tödlich getroffen wurden.«
»Nein, das darf nicht sein«, flüsterte Aglaia. Dann sank sie ohnmächtig zu Boden.
Ferdinand fuhr nach Potsdam, um Ellart nach Hause zu holen. Von Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen hoffte er Näheres über die Umstände von Ellarts Tod zu erfahren. Der Kommandeur empfing ihn in seinen privaten Räumen. »Was für ein trauriger Anlass, der dich nach so langer Zeit zu mir führt«, grüßte er seinen alten Freund. »Mein aufrichtiges Beileid. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten, vielleicht einen Cognac?«
Ferdinand nickte stumm. Hohenlohe gab seinem Adjutanten ein Zeichen, zu gehen, und goss selbst ein. »Es tut mir so leid um deinen Großneffen, Ferdinand. Eine wahrlich unangenehme Geschichte.«
»Kannst du mir sagen, was eigentlich passiert ist?«
»Es soll im Kasino einen heftigen Streit gegeben haben zwischen Ellart und seinem Stubenkameraden, einem Fähnrich Seliger. Wie man mir sagte, hat keiner der Anwesenden richtig verstanden, um was es eigentlich ging. Ich war zu der Zeit nicht in der Garnison, hatte eine Audienz bei Hofe. Keiner, nicht einmal Leutnant von Lerchenfeld, ein enger Freund Ellarts, konnte mir genaue Auskunft geben. Er hat ihm übrigens sekundiert.« Hohenlohe goss Cognac nach. »Ich weiß, es ist kein
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