Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
danke. Mein Wallerstein … Wie konntest du das nur so lange vor uns geheim halten?«
»Das frage ich mich auch«, entfuhr es Jesko. »Wo hier doch jeder alles über jeden weiß.«
Und Ferdinand sagte tief beeindruckt »Also, die Überraschung ist dir gelungen, das muss ich schon sagen.«
Vor der großen Freitreppe stand die gesamte Dienerschaft, nach Rang und Stellung nebeneinander aufgereiht, um die neuen Herrschaften zu begrüßen. Voller Freude erkannte Aglaia einige vertraute Gesichter. Da stand der Erste Diener Kurt, Haare und Bart schneeweiß, er musste an die siebzig sein, dann die Hausdame, Frau Hübner, und Helma, die Mamsell.
Dem Diener liefen Tränen über die Wange, als Aglaia ihn begrüßte. »Nu ne nich, dass ich das noch erleben darf! Das Komtesschen zurück zuhause, was ’ne Freude aber auch.«
Aglaia drückte seine Hand. »Ja Kurt, ich freue mich auch. Und Frau Hübner und du Helma, ihr seid alle noch da. Wie schön!« Für jeden hatte sie ein freundliches Wort, und nachdem sie die Reihe abgegangen war, betrat sie zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters wieder ihr Geburtshaus. Die Räume waren prachtvoll eingerichtet, überall frische Blumen und Palmen in kostbaren Gefäßen. Fast erkannte Aglaia ihr altes Zuhause nicht wieder.
»Hast du die Einrichtung übernommen?«, fragte Elvira Clemens erstaunt. So viel Geschmack hatte sie Wilhelmine gar nicht zugetraut.
»Nein.« Clemens lächelte. »Ich habe einiges aus England kommen lassen und anderes hier gekauft. Die vorige Einrichtung war mir ein wenig zu pompös. Nur im Park habe ich nichts verändert.« Aglaia sah ihn dankbar an. Nichts hier erinnerte mehr an ihre ungeliebte Mutter. Livrierte Lakaien servierten jetzt Mokka und Petit Fours. Die Herren zündeten sich ihre Zigarren an und tranken alten englischen Port. Jesko prostete seiner Frau zu, die ihr Glück kaum fassen konnte. »Siehste, mein altes Marjellchen, alle Aufregung war umsonst. Näher an Birkenau geht es ja nun wirklich nicht.«
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht im ganzen Landkreis. Wochenlang wurde über nichts anderes gesprochen. Aglaia von Wallerstein war nach Hause zurückgekehrt!
Das Land stöhnte unter der sommerlichen Hitze. Es war nun schon das dritte Jahr, in dem die Landwirte um ihre Ernte fürchten mussten. Aglaia und Clemens entflohen den unerträglichen Temperaturen und verbrachten ihre Hochzeitsreise in Kranz. Sie hatten das kleine verträumte Ostseebad dem trubeligen Zoppot vorgezogen, wollten ihre Zweisamkeit genießen und nicht auf Schritt und Tritt Freunden oder Bekannten begegnen. Clemens hatte etwas außerhalb des Ortes ein kleines Haus gemietet. Ein Dienstmädchen kam täglich für ein paar Stunden, den Rest der Zeit wollten sie ungestört sein. Sie machten lange Strandspaziergänge, badeten im Meer, und ihre Mahlzeiten nahmen sie in einem der vielen kleinen Gasthäuser ein. Nachts liebten sie sich, als ob es kein Morgen gäbe. Aglaia war zum ersten Mal seit Jahren wieder glücklich. Mitte Juli kamen sie zurück. Ihr erster Weg führte sie am nächsten Tag nach Birkenau.
»Da seid ihr ja endlich wieder!« Strahlend nahm Elvira Aglaia in den Arm.
»Ja, kaum angekommen, musste ich in aller Früh die Pferde satteln lassen. Meine Frau konnte es gar nicht erwarten, euch zu sehen«, berichtete Clemens lachend. »Ich hoffe wenigstens, dass ich hier ein anständiges Frühstück kriege.« Hannes hatte bereits zwei neue Gedecke aufgelegt, und Aglaia erzählte begeistert von ihren Ferien. »Diese herrliche frische Luft, und immer etwas Wind.« Sie versuchte, sich mit ihrem Fächer ein wenig Kühlung zu verschaffen. »Ich hatte schon ganz vergessen, wie unerträglich heiß es hier ist.« Während sie weiter schwärmte, von dem beschaulichen kleinen Ort und dem frischen Fisch, beugte sich Hannes zu Jesko hinunter. »Verzeihung, dass ich störe, Herr Graf. Eben kam ein Extrablatt. Es dürfte Sie interessieren.«
Jesko schlug die Zeitung auf. »Um Gottes willen! Frankreich hat Preußen den Krieg erklärt.« Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen.
Dann sagte Aglaia mit zitternder Stimme: »Wenn Alexander auf die Idee kommen sollte, sich freiwillig zu melden, werde ich das nicht zulassen. Noch einen Menschen zu verlieren, überstehe ich nicht.« Sie war den Tränen nahe.
»Mach dir keine Sorgen, Aglaia«, versuchte Jesko seine Schwiegertochter zu beruhigen. »Alexander ist mitten im Studium, man wird ihn auf keinen Fall einziehen. Und wie ich
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