Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
nie aus. An einem Abend in der gemeinsamen Stube, sie hatten bereits eine Flasche Whisky geleert und waren angetrunken, begann er zu erzählen: »Mein Vater besitzt einige Stofffabriken im Brandenburgischen. All die feinen Stöffchen, die wir hier tragen …«, fachmännisch strich er über den Stoff seiner Hose, »… sind von meinem Alten. Prosit Kaulitz!« Ellart fiel es schwer, seinen Widerwillen zu unterdrücken. Mit was für einem Parvenü hatte man ihn hier bloß zusammengesteckt! »Ich interessiere mich nicht besonders fürs Geschäft. Mein Bruder ist eher dafür geeignet«, fuhr Jakob fort. »Meine Mutter wollte unbedingt endlich einen Offizier in der Familie haben.« Er kicherte. »Muss meinen Alten eine ganz schöne Stange Geld gekostet haben, mich hier bei euch feinen Pinkeln unterzubringen. Und übrigens, Kaulitz, wenn du mal knapp bei Kasse bist, ich kann dir jederzeit was pumpen.«
Ellart ahnte nicht, dass sein neuer Stubenkamerad bereits wusste, dass er ständig in Geldnöten war und bei einigen Kameraden mit kleineren Beträgen und vor allem bei einem stadtbekannten Geldverleiher mit einer großen Summe in der Kreide stand. »Danke, Seliger, sehr freundlich … Werde gelegentlich darauf zurückkommen.«
Ellart hatte an seine Großmutter geschrieben, ob sie ihm noch einmal aushelfen könne. »Ein letztes Mal, Großmamachen, wirklich!« Postwendend kam ein Brief mit zwanzig Mark. »Mehr hab ich nicht, Jungchen, und Großvater kann ich nicht bitten. Er hat große Sorgen.« Achtlos legte er den Brief in die Schublade seines Spinds.
Am folgenden Wochenende war Urlaub bis zum Wecken. »Kommst du mit, Kaulitz?«, fragte Jakob. »Ich lade dich und ein paar Kameraden ein zum Essen ins Grote Huis.« Er wollte gefallen, der junge Seliger, vor allem Ellart.
»Nun ja, warum nicht.« Seliger tat, als hätte er Ellarts Zögern nicht bemerkt. Nach dem Essen, man hatte kräftig getrunken, fragte er: »Was haltete ihr von einem kleinen Spielchen? Ich kenne hier in der Nähe einen Club … Habe da schon einige schöne Sümmchen gewonnen.«
Ellart horchte auf. Vielleicht würde das alle seine Probleme lösen. Aber er zögerte. »Ich habe nur noch zwanzig Mark.«
»Setz die ein und sieh, was passiert.«
»Gut, ich bin dabei, Seliger.« Die anderen verabschiedeten sich. »Wir ziehen noch ein bisschen um die Häuser, aber euch beiden viel Glück.«
Ellart gewann. Er war wie elektrisiert. Doch zwei Abende später verlor er bereits eine große Summe.
»Heute hast du eine Pechsträhne«, beruhigte ihn Seliger. »Ich pumpe dir was. Du wirst sehen, beim nächsten Mal holst du es wieder rein.« Als sie zurück auf die Stube kamen, legte er Ellart einen Schuldschein hin. »Nur der Ordnung halber, zeichne mir das doch bitte ab.«
Und so nahm das Unglück seinen Lauf. Bald bestimmte nur noch der Dienst, Spielen und Alkohol Ellarts Leben. Mal gewann, aber noch öfter verlor er. Seine Schulden bei Jakob Seliger stiegen schnell an. Manchmal, wenn er betrunken war, ließ er seinen Stubenkameraden spüren, wie sehr er ihn verachtete. Kleine spitze Bemerkungen, dumm und dünkelhaft.
Jakob Seliger tat, als bemerke er das nicht. Als Ellart Heimaturlaub bewilligt wurde, er musste versuchen, irgendwie an Geld zu kommen, kam es zum Eklat zwischen den beiden.
»Mensch, Kaulitz, willst du mich nicht mal mitnehmen? Ich würde zu gern deine Familie kennenlernen.«
Ellart war fassungslos. Was bildete sich der Kerl eigentlich ein? »Nein, Seliger, also wirklich nicht!«
Der Ton, die mitschwingende Verachtung – das war zu viel für Jakob Seliger. Er erstarrte. »Natürlich, ich bin dem Herrn Grafen nicht fein genug.« Seine Augen funkelten feindselig. »Aber mein Geld, das stinkt nicht!«
»Nein, Jakob, so war das nicht gemeint …« Jetzt merkte auch Ellart, dass er zu weit gegangen war.
»Doch, das war es.« Er wandte sich zum Gehen. »Ich werde darum bitten, in eine andere Stube verlegt zu werden. Dann musst du mich nicht mehr ertragen. Und noch etwas. Such dir einen anderen Goldesel!«
Es gelang Ellart nicht, auf Birkenau an Geld zu kommen. Sosehr er seine Großmutter umschmeichelte – sie gab ihm nichts. Nicht, weil sie nicht wollte, sie hatte nichts. Auch seine Hoffnung, von Ferdinand noch einmal etwas zu bekommen, zerschlug sich. Der war verreist und wurde erst in zwei Wochen zurückerwartet.
Als er in die Garnison zurückkam, war seine Stube bis auf seine Sachen leer. Er erschrak. Er hatte nicht damit gerechnet, dass
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