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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Roxanne, geholt worden war, um in Toronto wie ein reiches Mädchen zu wohnen und eine Schule für reiche Mädchen zu besuchen. Aber sie ging weiterhin schnell – so schnell, dass ein Klugschwätzer, der sich beim Drugstore herumdrückte, ihr zurief: »Wo brennt’s denn?«, worauf sie ein wenig langsamer ging, um nicht aufzufallen.
    Der Kleiderkarton war lästig – woher sollte sie auch wissen, dass das Geschäft seine eigenen rosa Kartons hatte, auf denen in violetter Schreibschrift
Milady’s
stand? Der verriet sie sofort.
    Es war dumm von ihr gewesen, von Hochzeit zu reden, obwohl er nichts dergleichen erwähnt hatte, und daran hätte sie denken müssen. So viel anderes war gesagt – oder geschrieben – worden, von so viel Zuneigung und Sehnsucht war die Rede gewesen, dass es schien, als wäre die Hochzeit selbst nur aus Versehen nicht zur Sprache gekommen. So, wie man davon spricht, am Morgen aufzustehen, und nicht davon, zu frühstücken, obwohl man es sicherlich vorhat.
    Trotzdem hätte sie den Mund halten sollen.
    Sie sah Mr McCauley auf der anderen Straßenseite entgegenkommen. Das war nicht weiter schlimm – selbst wenn er direkt auf sie zugegangen wäre, hätte er den Karton bestimmt nicht bemerkt. Er hätte einen Finger an den Hut gelegt und wäre an ihr vorbeigegangen, und vermutlich hätte er sie als seine Haushälterin erkannt, aber vielleicht auch nicht. Er hatte anderes im Kopf, hatte wahrscheinlich eine ganz andere Stadt vor Augen als alle Übrigen. An jedem Arbeitstag – und manchmal versehentlich auch an Feiertagen oder Sonntagen – legte er einen seiner dreiteiligen Anzüge an, seinen Sommer- oder Wintermantel, seinen grauen Filzhut und seine blank geputzten Schuhe und ging von der Exhibition Road zu seinem Büro in der Innenstadt, das er immer noch unterhielt, über einer ehemaligen Sattlerei. Es galt immer noch als Versicherungsagentur, obwohl er schon seit geraumer Zeit keine Versicherungen mehr verkauft hatte. Manchmal stiegen Leute die Treppe hinauf, um ihn aufzusuchen, ihm vielleicht eine Frage über ihre Policen zu stellen oder eher noch über Grundstücksgrenzen, die Geschichte einer Liegenschaft in der Stadt oder einer Farm im Umland. Sein Büro war mit alten und neuen Karten voll gestopft, und er kannte kein größeres Vergnügen, als sie auszubreiten und sich auf eine Erörterung einzulassen, die weit über die gestellte Frage hinausging. Drei- oder viermal am Tag kam er heraus und spazierte die Straße entlang, wie jetzt. Während des Krieges hatte er den McLaughlin-Buick in der Scheune aufgebockt und war überallhin zu Fuß gegangen, um ein Beispiel zu geben. Fünfzehn Jahre später schien er immer noch ein Beispiel geben zu wollen. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, wirkte er wie ein freundlicher Grundbesitzer, der sein Eigentum besichtigte, oder wie ein Pfarrer, der beglückt seine Gemeinde betrachtete. Natürlich hatte die Hälfte aller Menschen, denen er begegnete, keine Ahnung, wer er war.
    Die Stadt hatte sich verändert, sogar in der Zeit, seit Johanna hier lebte. Der Handel zog hinaus an die Fernstraße, wo ein neuer Discountladen aufgemacht hatte, dazu ein Canadian Tire und ein Motel mit einer Bar und Oben-ohne-Tänzerinnen. Manche Geschäfte in der Innenstadt hatten versucht, sich mit rosa oder lila oder olivgrüner Farbe herauszuputzen, aber diese Farbe blätterte auf den alten Ziegelsteinen bereits ab, und einige standen leer. Dem Milady’s drohte nahezu mit Sicherheit dasselbe Schicksal.
    Wenn Johanna die Frau da drin gewesen wäre, was hätte sie getan? Vor allem hätte sie nie so viele kostbare Abendkleider hereingenommen. Sondern was? Wenn man sich auf billigere Kleidung umstellte, geriet man unweigerlich in Konkurrenz zu Callaghans und dem Discountladen, und wahrscheinlich reichte die Nachfrage nicht für alle. Wie wäre es dann mit hübschen Babysachen, Kindersachen, um die Großmütter und Tanten zu ködern, die das Geld besaßen und für so etwas ausgeben würden? Die Mütter konnte man abschreiben, denn die würden zu Callaghans gehen, weil sie weniger Geld und mehr Verstand hatten.
    Aber wenn sie – Johanna – das Geschäft zu führen hätte, würde es ihr nie gelingen, Kundschaft hereinzulocken. Sie konnte erkennen, was getan werden musste und in welcher Weise, und sie konnte andere dazu anstellen und beaufsichtigen, aber sie konnte beim besten Willen nicht schöntun und umgarnen. Entweder – oder, war ihre Haltung. Entweder Sie

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