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Himmelsfelsen

Himmelsfelsen

Titel: Himmelsfelsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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preis.
Irgendwo würden die Rehe stehen, reglos und still. Drüben, wo sich christbaumhohe
Fichten eng aneinander schmiegten, gab es finstren Unterschlupf für das Kleingetier.
    Hier war niemand, stellte der Mann fest und
joggte weiter. Er spürte die weiche Walderde unter den Füßen und er sah durch die
Baumwipfel des Steilhangs, wie vor ihm der Osthimmel immer heller wurde. Gleich
würde er seinen Umkehrpunkt erreichen, jenen gewaltigen Felskoloss, der sich hier
an den Steilhang zu klammern schien. Tagsüber war dieses Felsplateau ein beliebtes
Wanderziel, weil es eine grandiose Aussicht auf das 160 Meter tiefer gelegene enge
Tal bot. Obwohl der Weg hinter dem Felsen vorbeiführte, ließ sich der Frühsportler
diesen Blick nie entgehen. Er stieg über einen schmalen Pfad auf das Felsplateau
hinauf, das im Mittelalter sogar von einer Burg gekrönt gewesen sein soll. Er war
jedes Mal von der Tiefe angetan, die sich vor ihm auftat. Besonders beeindruckend
empfand er es, diese Hänge ringsherum im Wandel der Jahreszeiten zu erleben. Die
Felswand, das wusste er, ragte 60 Meter senkrecht aus dem bewaldeten Berg empor.
    Himmelsfelsen nannten die Einheimischen dieses
Kalkstein-Monster seit jeher. Denen im Tal war es Wahrzeichen und Heimat. Der Mann,
in der benachbarten Kleinstadt Geislingen an der Steige aufgewachsen, kannte sich
in der näheren Umgebung aus. Seine Eltern hatten ihn, damals noch zu seinem Leidwesen,
zu Wanderungen mitgenommen. Die Liebe zur Natur entwickelte sich erst später.
    Von dem Ausblick auf das kleine Örtchen Eybach
da unten schwärmte er all jenen vor, die ihn ob seiner wöchentlichen Jogging-Tour
belächelten. Oft schon hatte er auch in Ulm von diesem Felsen erzählt, der ihn so
sehr faszinierte.
    Nun stand er wieder da, ganz vorne, nur ein,
zwei Schritte vom Abgrund entfernt. Ein erhebendes Gefühl, stellte er immer wieder
fest, als ob er sich jeden Augenblick selbst in die Lüfte schwingen könnte, wie
die Turmfalken oder Raben es taten, die den Felsen umkreisten.
     
    Es war wirklich ein ungewöhnlich schöner Sommermorgen. Noch allerdings
reichten die Sonnenstrahlen nicht bis nach Eybach hinab. Das Örtchen lag in einem
engen Tal, das sich in nordöstliche Richtung durch das Mittelgebirge der Schwäbischen
Alb schlängelte, eingegraben in Jahrmillionen durch das Flüsschen Eyb, das dem Dorf
seinen Namen gab. In den Wintermonaten, wenn die Sonne tief am Horizont stand, blieben
manche Bereiche jedoch ständig im Schatten. Das Wahrzeichen des Örtchens, der Himmelsfelsen,
war jetzt noch trist und grau, aber er konnte auch schneeweiß strahlen, wenn die
Sonne ihn erhellte. Außerhalb der Vogelschutz-Zeiten zog er Kletterer zuhauf an.
Derzeit jedoch durfte die Felswand wegen der brütenden Turmfalken nicht erklommen
werden.
    Plötzlich zerriss ein markerschütternder Schrei
die Idylle des Tales. Nur kurz, aber so heftig und laut, wie er nur von einem Menschen
in Todesangst stammen konnte. Augenblicke später war es wieder beängstigend still.
    Das Örtchen Eybach, so verschlafen es zu dieser
frühen Morgenstunde noch war, schien aufgeschreckt worden zu sein. An einigen Häusern
wurden Fenster geöffnet, Menschen blickten irritiert nach draußen. Eine Zeitungsfrau
hielt auf dem Weg zwischen zwei Häusern inne.
    Kaum eine Minute später erfuhr der ›Polizeiführer
vom Dienst‹ in der Kreisstadt Göppingen von dem Schrei. Mehrere Anrufer brachten
über den Notruf ihre Sorge darüber zum Ausdruck, dass wohl etwas Schreckliches geschehen
sein müsse. Der Beamte, der das Ende seines Nachtdienstes herbeisehnte, verständigte
routinemäßig über Funk eine Streifenwagen-Besatzung: »Dora zwölf-vierzehn«, sagte
er, »fahren Sie nach Eybach, dort wurde im Ort ein Hilferuf gehört.«
    Die Streifenwagen-Besatzung, die sich gerade
zehn Kilometer entfernt aufhielt, bestätigte, schaltete Martinshorn und Blaulicht
ein und raste los.
     
    Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Polizeistreife am Ort eintraf.
Die beiden Beamten, Harald Missler und Jürgen Köhler, stiegen in der Ortsmitte vor
dem Rathaus aus. Auf der Durchgangsstraße herrschte nur mäßiger Verkehr. Drüben
auf dem Parkplatz des Gasthauses ›Ochsen‹ stand ein halbes Dutzend Autos. Kein Mensch
weit und breit und nichts, was auf ein Verbrechen hindeuten würde. Auch der Himmelsfelsen,
diese hoch aufragende Wand, die hier vom Ortskern aus besonders drohend wirkte,
wies keine Besonderheit auf.
    Gerade, als die beiden Beamten wieder in

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