Himmelsstürmer: Mein Leben im freien Fall (German Edition)
Winter mit den Schneeschuhen auf der Rückseite hoch und vorn mit dem Fallschirm runter. Nur für mich. Um mich selbst und meine Leidenschaft mal wieder zu spüren. Wie in meinem Lebenstraum, in dem ich die Straße runterlaufe, zwei, drei Schritte mache, abhebe und fliege. Einfach so.
*
Das wäre ein schönes Ende, aber es gab da noch einen anderen, nicht so schönen Traum, den ich bis vor Kurzem geträumt habe und den ich gerne teilen möchte. Die zwei Gefängnisse meines Lebens waren der Druckanzug und meine Lehrzeit als Maschinenschlosser. Zuerst war ich ein Jahr bei einer Firma wo ich Serienarbeit verrichten musste. Im ersten Jahr darfst du nur zusammenkehren und bohren, im zweiten Jahr drehen, im dritten fräsen, aber immer Serienarbeit. Tausend 7er-Löcher in der Woche. Das war langweiliger als der Tod.
Ich habe sehr darunter gelitten. Ich wollte immer weg und habe zu meinem Vater gesagt: »Das bin ich nicht. Das macht mich fertig.« Nach einem Jahr hatte ich ihn endlich so weit – früher mussten ja die Eltern noch alles mit unterschreiben. Ich bin dann in eine kleinere Firma gekommen, und das war das einzige Mal in meinem Leben, wo ich wirklich nicht gut genug war. Bis dahin hatte ich mir innerhalb von ein paar Monaten in jeder Firma sofort eine respektvolle Position erarbeitet. Nur in dieser Firma, da stand alles von Beginn an unter einem schlechten Stern. Da sind mir Dinge passiert, bei denen du denkst: Das gibt’s doch gar nicht.
Es war ein Albtraum für mich, in diese Firma zu fahren. 15 Kilometer, jeden Tag, immer mit dem Fahrrad, im Regen, im Schnee. Ich komme um 7.05 Uhr an, nicht meine Zeit, bin komplett nass – wieder ein Tag, der beschissen losging. Dreieinhalb Jahre Horror. Und mein ganzes Leben über, bis kurz vor dem Stratos-Sprung, bin ich in meinem Traum noch immer in diese Firma gegangen, zweimal in der Woche. Ich war schon Felix Baumgartner, der erfolgreiche Fallschirmspringer, aber ich musste immer noch zweimal in der Woche zur Arbeit in die Firma, in meinem Traum. Und ich habe jedes Mal wieder alles falsch gemacht und gedacht: Warum mache ich den Scheiß eigentlich? Ich hab genug Geld, ich brauche das doch nicht mehr. Also gehe ich zum Chef und kündige. Direkt nächste Woche mache ich das. 22 Jahre lang habe ich das verschoben, weil ich zu feige war oder zu faul.
Kurz vor meinem Stratos-Sprung habe ich im Traum gekündigt – und seitdem ist dieser Traum weg. Vielleicht war vorher etwas in meinem Unterbewusstsein. Eine Aufgabe, die noch zu erledigen ist, eine Arbeit, die abgeschlossen werden muss. Vielleicht musste ich mich von diesem Ballast erst befreien, damit ich den Sprung machen konnte: Junge, das musst du noch erledigen. So kannst du nicht springen. Eine interessante Geschichte.
Die erfolglosen Schlachten des Lebens kehren immer wieder zu einem zurück. Alles, was man nicht verarbeitet, nicht abgeschlossen hat. Erst wenn man eine Sache für sich abschließt, ist man wirklich frei. Der Kopf ist ein verrücktes Ding und das menschliche Gehirn nach wie vor das größte Mysterium auf Erden. Was dort oben nicht alles in Gang gesetzt werden kann: Träume, Tränen und Triumphe.
»Wer weiß, was ihm alles noch einfällt.«
Eva Baumgartner im Gespräch über ihren Sohn und ihre Ängste
Thomas Becker: Frau Baumgartner, wir haben uns gerade ein Kindheitsbild von Felix angeschaut. Darauf ist er zu sehen, wie er auf einem Baum steht und seine Schuhe kaum noch den Ast berühren, der ihn trägt. Es sieht tatsächlich ein wenig so aus, als wäre er kurz davor, seinen ersten Base-Sprung zu machen. Wie haben Sie ihn erlebt, als er ein Kind war?
Eva Baumgartner: Der Felix war ein sehr neugieriges Kind. Und er hat immer geredet. Wenn er von der Schule nach Hause gekommen ist, er hat den ganzen Tag geredet. Und immer sehr, sehr schnell. Die meisten Leute haben ihn überhaupt nicht verstanden. Meine Schwägerin hat immer gesagt: »Ich verstehe den Felix nicht, der redet so schnell.« Erst mit Mitte 30 fing er an, ein wenig sachter zu sprechen.
Sein Bruder Gerald auch?
Der Gerald auch, ja. Aber am meisten hat schon der Felix geredet. Und er war als Kind schon ein guter Sportler und immer interessiert an jeder Sportart, besonders am Skifahren und am Judo. Und er ist früh BMX -Rad gefahren. Immer auf dem Hinterreifen wie ein Wilder. Das hat uns fasziniert. Das Rad hat er heute noch, das gibt er nicht her. Er hat es sich mühselig erspart von seinem Taschengeld. Sein Vater hat gar nicht
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