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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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Ähnlichkeit hatten mit Spinnenweben. Der Undinen-Mann mit dem wunderschönen jungen Gesicht glitt wieder auf mich zu.
    „Hier pflegen wir die Kranken.“
    Er gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Die anderen Undinen, die mich hierher begleitet hatten, blieben zurück und verschwanden wieder in den Gängen der Wurzel. Ich glitt hinter ihm her.
    Die kranken Undinen hingen regungslos in ihren Netzen, wie Nixen, die man mit Fischernetzen eingefangen hatte. Sie wirkten wie schleierhafte Wesen, die unvollständig gezeichnet waren. Der einen fehlten die langen weißen Haare, der anderen Arme, Beine oder Hände. Die unvollständigen Körperteile wurden an den Enden blass und verflossen mit dem Wasser. Darin befanden sich kleine dünne Blutfäden, die sich bald ganz verloren. Ich erinnerte mich an die kranke Undine, die sie damals weggebracht hatten. Nur dass das Blut bei ihr aus dem Mund gekommen war. Das hier waren alles Opfer des Unterseebebens. Ich fühlte mich bei dem schrecklichen Anblick furchtbar elend und nur ein Gedanke beherrschte mich: Und wenn es doch zu spät dafür war, nicht wie die alte Clarissa und mein Vater zu werden?!
    Ich bewegte mich nicht mehr, hatte die Arme um mich geschlungen und verharrte so im Wasser, abgewandt von den verletzten Undinen, damit ich sie nicht mehr ansehen musste. Der Undinen-Mann drehte eine Runde um mich. Dann nahm er meine Hand und zog mich fort. Ich erschrak, wie kühl seine Hand war.
    „Was habt ihr jetzt mit mir vor?“
    Meine Frage war nur ein Flüstern.
    „Wir möchten dir danken.“
    „Was?“ Ich verstand nicht recht. Ich verstand überhaupt nichts. Ich musste mich komplett verhört haben.
    „Tim, der Menschenmann. Er hat uns von der Seuche befreit. Aber er sagt, dass er es ohne dich nicht geschafft hätte.“
    „Aber …“
    Ich drehte mich zurück zu den verletzten Undinen und versuchte mich, gegen seinen Griff zu wehren, aber obwohl die Hände der Undinen zart und durchscheinend waren, waren ihre Kräfte eisenhart.
    „Für Menschen sieht es schlimmer aus, als es ist. Keine von ihnen befindet sich in Lebensgefahr. Sie schätzen es sehr, dass du gekommen bist. Sie werden wieder gesund.“
    Er zog mich mit sich, während ich darüber nachgrübelte, was er gesagt hatte: Tim hatte mit den Undinen gesprochen? Aber wie?
    Wir schwebten von oben in ein monumentales Gewölbe. Hier leuchtete alles in grün, glitzernd vom Licht filigraner Algen, die an dem komplizierten Wurzelwerk wuchsen. Unten hatten sich unzählige Undinen versammelt. Sie saßen ganz still im Halbkreis auf dem moosigen Boden, der auch hier weiße Blüten trug. Ich erkannte Sulannia unter ihnen. Sie hob sich ab von allen mit ihrem intensiv blauen Gewand und den dunklen, fließenden Haaren. Vor ihnen ragte der dicke Arm einer Wurzel im Halbbogen aus dem Moos und bildete so etwas wie einen Podest. Und darauf stand Tim. In seinem Taucheranzug. Die Blasen seiner Sauerstoffflasche stiegen nach oben. Es sah unwirklich aus: ein Mensch mit so schwerfälligen Geräten zwischen all diesen wendigen Wasserwesen.
    Er blickte zu mir hoch, als wenn er mich erspürt hatte. Aber ich konnte seinen Gesichtsausdruck hinter der Taucherbrille nicht erkennen.
    Ich starrte ihn perplex an. Warum war er hier? Warum war ich hier? Mein Gehirn schien vorrübergehend seinen Dienst einzustellen. Ich verstand die ganze Situation nicht. Plötzlich erschien Minchin aus dem Geäst der Wurzeln hinter ihm und nahm seine Hand. Mein Körper machte einen Ruck nach vorn. Etwas wollte sich blindlings auf sie stürzen. Da stand meine Feindin, die nicht nur ihr Volk fast vernichtet hatte, sondern mir auch meine Liebe nahm.
    Die Fragen in meinem Kopf überschlugen sich. Hatten sie ihr etwa verziehen? War sie gerade dabei, Tim ihrer Familie vorzustellen? Wurde Tim darin als Held gefeiert? Wussten die Undinen vielleicht gar nicht, dass Minchin an der ganzen Katastrophe beteiligt war? War Tim längst in sie verliebt? Mein Herz hämmerte. Ich spürte die altbekannte Hitze. Jetzt nur keinen Feueranfall bekommen und alles schlimmer machen. Oder doch? Vielleicht konnte ich ja nicht anders und war zu sehr das Blut von Alexander und Clarissa, der früheren Clarissa. Vielleicht war ich einfach nicht dafür geschaffen, die mir gegebenen Energien positiv zu nutzen. Irgendeine kleine Stimme schrie in mir, mit diesen fatalen Gedanken aufzuhören.
    Ich schlang erneut die Arme um mich. Diesmal, um mich im Zaum zu halten. Neben Minchin tauchte jetzt eine auffällig

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