Himmlisch Verliebt
er uns allen richtig Gute Nacht gesagt hatte. Eines Abends fragte ihn Mum, warum es für ihn so wichtig sei, richtig Gute Nacht zu sagen.
»Falls ich im Schlaf sterbe«, sagte er.
Mein Bruder weiß, dass er an einer Krankheit leidet, die sich niemals bessern wird. Es hat lange gedauert, ihm zu erklären, dass er nicht unversehens im Schlaf sterben wird. Aber wahrscheinlich stirbt er vor uns. Wir hoffen nur, es geschieht nicht so früh.
Unser Familienleben richtet sich nach meinem Bruder. Er braucht viel Fürsorge, Therapie und Übungen. Wir wechseln uns ab. Manchmal vergesse ich, dass ich ein Teenager bin. Manchmal vergesse ich, dass ich ich bin. Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich nur seine Schwester und nicht so besonders wie er.
Ich bin es leid, den Leuten zu erklären, warum die Krankheit meines Bruders nicht ansteckend ist. Ich bin es leid, das Haus sauber halten zu müssen, damit er keine Infektionen bekommt. Ich werde wütend, wenn wir so viele Familienaktivitäten absagen müssen, weil mein Bruder zu krank ist. Es bedrückt mich, wie viele Sorgen sich meine Eltern machen. Und ich habe Angst, meine Eltern könnten – wenn mein Bruder stirbt – zu traurig sein, um mich noch zu lieben. Aber das ist an einem schlechten Tag so.
An einem guten Tag ist unser Haus voller Liebe und Lachen. Meinem Bruder bei seiner Therapie zu helfen, macht mich zu einem besonderen Teil eines besonderen Teams. Und weil wir alle wissen, wie zerbrechlich das Leben ist und wie hart die Welt sein kann, sind wir netter zueinander als in jeder anderen Familie, die ich kenne. Meine Familie kümmert sich nicht nur um meinen Bruder, wir kümmern uns um alle. Und wir lachen, wann immer wir können. Ich habe von meinem kleinen Bruder Stärke und Mut gelernt, und Geduld und Liebe von meinen Eltern.
Wenn du mich fragen würdest, was ich an meinem Leben gerne ändern möchte, fiele mir nur eine Sache ein. Ich möchte meinen Bruder heilen, weil ich mir mein Leben ohne ihn nicht vorstellen kann.
Ich hänge meinen Artikel an eine E-Mail, tippe die
Webzin
-Adresse ein und verschicke sie von meinem Hotmail-Account aus. Cindy wird nicht wissen, von wem die Nachricht ist. Mein User-Name ist Newshound 95 .
»Gemma, Liebes.« Ich schaue hoch und sehe Dad vor mir stehen.
Ich halte die Luft an. »Wie geht es ihm? Ist er …?« Die Worte bleiben mir im Hals stecken.
»Er ist stabil.« Ich kann die Erleichterung in Dads Stimme hören. Sie gleitet über mich hinweg. »Ich werde dich mit nach Hause nehmen, damit du ein wenig schlafen kannst.«
»Was ist mit Mum?«
»Sie bleibt hier.« Dad nimmt meine Tasche und schwingt sie über seine Schulter, dann legt er seinen Arm um mich und lenkt mich zur Tür.
[zurück]
MR HARRIS RÄUSPERT SICH. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus, dass ich heute dabei bin.«
Es ist Freitagnachmittag. Cindy hat ein Meeting für die nächste Ausgabe einberufen. Ich unterdrücke ein Gähnen und wünschte, ich wäre zu Hause. Es war eine lange Woche. Mum hat praktisch im Krankenhaus gewohnt und darauf gewartet, dass die Antibiotika anschlagen. Aber bis jetzt hat sich Bens Zustand noch nicht verbessert, und er ist immer noch an die Maschinen angeschlossen. Ich schaue zum vierhundertachtundneunzigsten Mal auf mein Handy, für den Fall, dass es Neuigkeiten gibt, doch auf dem Display ist kein Briefumschlag zu sehen. Ich lasse es zurück in meine Hosentasche gleiten und versuche, mich auf das Deadline-Meeting zu konzentrieren.
Gerade als sich Mr Harris einen Stuhl nimmt, der neben der Tür steht, geht die Tür weit auf. Mr Harris duckt sich, und Will fegt wie eine Donnerwolke herein. »Diese Woche steuere ich keinen Artikel bei«, verkündet er. »Mein Kontakt hat einen Rückzieher gemacht, und ohne Interview gibt es keine Story.«
»Du hast doch noch das ganze Wochenende über Zeit«, räume ich ein. Ich sitze an meinem Stammplatz, gegenüber von David und Phil, über deren Tisch Jeff sich gerade beugt. »Kannst du keinen neuen Kontakt auftun?«
»Ja, klar.« Will starrt auf mich herunter. »Weil ich ja förmlich an jeder Ecke über Opfer von Messerstechereien stolpere.«
Sam lümmelt auf seinem Stuhl, die Füße auf dem Tisch. »Hey, Will, könntest du dich möglicherweise entspannen und Gemma in Ruhe lassen?«
Will wirft ihm einen bösen Blick zu, verstummt aber. Ich schenke Sam ein dankbares Lächeln.
»Vergesst nicht, dass Mr Harris uns heute besucht«, erinnert uns Barbara vorsichtig. Sie sitzt neben
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