Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
schmalen Felder, die sich über die blauen Hügel erstrecken. Und Les Marauds, wo Armande gewohnt hat, die ehemaligen Gerbereien, die modrigen Fachwerkhäuser, die sich wie betrunken zum Fluss hin neigen, wo die Flusszigeuner ihre Boote vertäuen und ihre Lagerfeuer am Ufer entzünden.
Fahr zurück nach Lansquenet. Nimm die Kinder mit.
Was kann schon passieren?
Ich hatte nichts versprochen. Ich hatte auch nicht vor, die Windrichtung zu ändern. Aber wenn man eine Zeitreise machen könnte, wenn man sich selbst wiedersehen könnte als die Frau, die man früher einmal war – würde man da nicht versuchen, sie zu warnen, ein einziges Mal wenigstens? Hätte man nicht den Wunsch, alles nachträglich in Ordnung zu bringen? Ihr zu zeigen, dass sie nicht allein ist?
4
Samstag, 14. August
Anouk nahm die Nachricht von unserer Reise mit rührendem Enthusiasmus auf. Ihre Schulfreundinnen sind fast alle weg im August, und weil Jean-Loup immer noch im Krankenhaus liegt, verbringt sie viel zu viel Zeit allein und schläft mehr, als für sie gut ist. Sie muss eine Weile weg von hier – wie wir alle, das spüre ich jetzt. Im August ist Paris wirklich furchtbar, eine Geisterstadt, die von der Faust der Hitze erdrückt wird. Die Geschäfte geschlossen, Straßen, in denen niemand unterwegs ist außer den Touristen mit ihren Rucksäcken und Baseballmützen, und dann noch die Händler, die ihnen folgen wie ein Fliegenschwarm.
Ich sagte zu Anouk, dass wir in den Süden fahren.
»Nach Lansquenet?«, fragte sie sofort.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Mit einer so schnellen Antwort. Noch nicht. Vielleicht hatte sie meine Farben gelesen. Jedenfalls leuchtete ihr Gesicht auf, und ihre Augen, die so ausdrucksvoll sind wie der Himmel in all seinen Variationen, verloren den Gewitterblick, der nichts Gutes verheißt, bei ihr zurzeit aber der Normalzustand ist, und blitzten stattdessen vor Freude, genau wie damals, als wir nach Lansquenet kamen. Rosette, die alles nachahmt, was Anouk macht, beobachtete sie aufmerksam und wartete auf ihr Stichwort.
»Wenn du einverstanden bist«, fügte ich noch hinzu.
»Cool«, sagte Anouk.
»Coo«, sagte Rosette.
Ein Echo wehte über die ölige Seine herüber und signalisierte Bams Zustimmung.
Nur Roux sagte nichts. Überhaupt ist er ungewöhnlich schweigsam seit Armandes Brief. Es ist ja nicht so, dass er besonders an Paris hängt, nein, er erträgt die Metropole eher uns zuliebe. Er betrachtet den Fluss, nicht die Stadt, als seine Heimat. Doch Lansquenet hat ihn nicht gut behandelt, das wird er nie vergessen. Und er ist immer noch verbittert, weil er sein Boot verloren hat und weil danach noch viele andere Dinge geschehen sind. Klar, er hat auch noch Freunde dort – zum Beispiel Joséphine –, aber insgesamt betrachtet er das Dorf als eine Ansammlung von kleinkarierten Heuchlern, die ihn bedrohten, die sein Zuhause abgefackelt und sich sogar geweigert haben, ihm Material und Zubehör zu verkaufen. Und was den curé betrifft, Francis Reynaud –
Bei aller Gradlinigkeit hat Roux auch eine dunkle, missmutige Seite. Wie ein wildes Tier, das sich zwar zähmen lässt, aber niemals vergisst, wenn man es schlecht behandelt, so ist auch Roux extrem loyal und gleichzeitig extrem nachtragend. Ich würde mal vermuten, dass er seine Meinung über Reynaud niemals ändern wird, und auch sonst empfindet er nur Verachtung für die zahmen Kaninchen von Lansquenet, die still und unauffällig am Ufer des Tannes leben, nicht mal einen Blick über den nächsten Hügel wagen und bei jedem Hauch von Veränderung, beim Anblick jedes Fremden ängstlich zusammenzucken.
»Und du?«, fragte ich ihn. »Wie findest du das?«
Schweigend blickte Roux hinaus auf den Fluss, die langen Haare im Gesicht. Nach einer Weile zuckte er die Achseln.
»Vielleicht nicht.«
Ich war verblüfft. In meiner Vorfreude hatte ich ganz vergessen, ihn zu fragen, ob er mitfährt. Ich war davon ausgegangen, dass er sich auch über einen Tapetenwechsel freuen würde.
»Was heißt das, ›vielleicht nicht‹?«
»Der Brief war an dich adressiert, nicht an mich.«
»Und warum hast du bis jetzt nichts gesagt?«
»Weil ich sehe, dass du fahren willst.«
»Und du möchtest lieber hierbleiben?«
Wieder zuckte er die Achseln. Manchmal denke ich, sein Schweigen drückt mehr aus als alle Worte. Gibt es etwas – oder jemanden – in Lansquenet, weshalb Roux nicht zurückmöchte? Mir war sonnenklar, dass ich ihn noch so oft fragen konnte, er würde
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