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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bekamen Streit, weil ich falsch summte, und das nannten sie falsch spielen, und dabei ist falsch summen etwas ganz anderes als falsch spielen.
    Nachmittags schlug Bossie vor, wir sollten uns eine Geschichte über Nancy und Jeckyll ausdenken. Wir sollten sie so erzählen, als würde es echt passieren, hier, in diesem Moment.
    »Und soll Nancy in der Geschichte sterben?«, fragte Geesje.
    »Von mir aus«, sagte Bossie und grinste.
    Er spähte über die Mauer und stemmte die Hände in die Hüften.
    »Schau an, wen haben wir denn da«, sagte er übertrieben überrascht. »Nancy Sinatra und ihren Hund.«
    So begann unsere Geschichte.
    In der Geschichte kletterte Bossie von der Mauer. Er ließ es so aussehen, als brauche man dafür viel Mut. Die Mauer war zu steil, um eine einfache Klettermauer zu sein, das stimmte, aber gefährlich konnte man das Klettern darauf auch nicht nennen: Es war eine Frage von Rhythmus und ein bisschen aufpassen.
    Ich hielt mich gut fest. Ich stieß meine rechte Schuhspitze in eine Fuge, ich stellte meinen linken Fuß daneben. Manchmal schürfte ich mir das Knie oder die Wange auf, weil ich zu schnell sein wollte, aber in der Geschichte, die wir uns ausdachten, ging natürlich alles gut.
    Ich wischte genau wie Geesje und Bossie meine Hände an der Hose ab.
    »So, da sind wir also«, sagten wir zu Nancy, die nicht da war.
    Wir hörten selbst, wie das klang. Als hätte sie uns um Hilfe gebeten, und dabei hatte sie uns nicht gebeten. Sie hatte uns noch nie um etwas gebeten.
    »Da seid ihr also«, sagte sie, und sie betrachtete uns einen nach dem anderen von Kopf bis Fuß, nachdem sie einen Schritt zurückgetreten war. Sie lächelte. Sie hatte keine Einkaufstasche dabei, die wir hätten tragen können. Sie musste die Straße nicht überqueren. Auch aus der Nähe sah sie nicht so aus, als brauche sie Hilfe. Nur ihre Beine waren unsicher.
    »Wieder unterwegs?«, sagte Bossie.
    »Wie fit Sie sind«, log Geesje.
    »Ja«, sagte Nancy mit allem Atem, den sie noch in den Lungen hatte, denn wir sollten hören, wie gern sie unterwegs war. Sie lächelte breit und deutete auf Jeckyll, der in unserer Geschichte ein paar Meter weiter mit dem Hinterteil zu uns stand und wartete. Sein Schwanz hing herunter.
    »Er hat einen schlechten Tag«, sagte Nancy. Sie machte Anstalten weiterzugehen.
    »Sie nicht«, sagte ich.
    Geesje, Bossie und ich schauten uns an. Wir kicherten, weil es mit der Geschichte so gut klappte.
    »Sie haben immer gute Stiefel an«, sagte Geesje. »Sie gehen langsam, aber das Gehen macht Ihnen Spaß.«
    »Ja!«, sagte Nancy und versuchte, die Bedeutung von guten Stiefeln und langsamem Gehen zu unterstreichen, indem sie ihre Hände an die Ohren hielt und den Kopf schüttelte. »Wenn man etwas älter wird, so wie ich, sind gute Stiefel sehr wichtig. Man muss viel Boden unter den Füßen haben.«
    Bossie schaute zu Nancys Füßen. »Mit so einem Paar Stiefel kommen Sie bis Nowosibirsk«, sagte er.
    »Nowosibirsk?«, sagten Geesje und ich gleichzeitig.
    »Nowosibirsk«, sagte Bossie. »Sind die Stiefel nicht zu warm?«
    »Nein«, sagte Nancy. »Nein. Das Fell ist warm im Winter und kühl im Sommer. Sie sind genau richtig. Wo liegt Nowosibirsk?«
    »In Russland.«
    Wir schwiegen. Einen Moment lang wussten wir nicht mehr weiter.
    Nancy drehte die Füße bereits in die Richtung, in die sie gehen wollte, und sie streckte die Arme ein bisschen vom Körper weg.
    Ich sagte, sie würde wie ein Herr mit Hut gehen. »Herren mit Hut machen viele überflüssige Bewegungen. Sie haben die Angewohnheit, erst einen Fuß vorzusetzen, und dann lassen sie den Rest ihres Körpers folgen.«
    »Sie laufen vorsichtig«, sagte Geesje.
    »Auf Ihren schwachen Beinen mit den guten Stiefeln«, sagte Bossie und grinste.
    Es sah aus, als würde Nancy ihren üblichen Weg einschlagen, als würden wir allein bei der Mauer zurückbleiben. Ein paar Schritte weiter blieb sie jedoch wieder stehen und drehte sich um.
    »Habt ihr Jeckyll eigentlich weglaufen gesehen?«, sagte sie.
    Wir schauten sie an. Dann schauten Geesje und Bossie und ich zu der Stelle, wo Jeckyll vor einer halben Minute noch mit dem Hinterteil zu uns gewartet hatte, nur ein paar Schritte von uns entfernt.
    Er stand nicht mehr da.
    Wir drehten uns um die eigene Achse, erst in Richtung Kirche und Anlage, dann zur anderen Seite der Milchstraße, und schließlich suchten wir mit den Augen den ganzen Bürgersteig ab, vorbei an den Sträuchern, die da und dort neben der Mauer

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