Zivilcourage - Keine Frage
Vorwort der Autorinnen
Mit offenen Augen durch die Welt
Berlin Hauptbahnhof, Gleis 1 am Vormittag. Der ICE aus Hamburg fährt ein. Suchende Blicke, Szenen der Begrüßung, ein hektisches Treiben. Die Massen drängeln in Richtung der Rolltreppen und des Fahrstuhls. Dann ist der Bahnsteig plötzlich leergefegt. Weiter geht’s nach Leipzig, der Zugbegleiter ist abfahrbereit, hält seine kleine Kelle in der Hand. Nur eine Tür entfernt von ihm steht eine ältere Frau mit drei Koffern auf dem Bahnsteig. Dass sie merklich aufgeregt ist, registriert er ungerührt. Sie ruft ihm etwas auf Arabisch zu, ihr Gesichtsausdruck ist verzweifelt, die mit Taschen behängten Arme weisen in Richtung des Fahrstuhls. Offensichtlich ist ihr Mann damit noch unterwegs, und sie befürchtet, der Zug könne ohne sie abfahren.
Mir bleibt kaum Zeit für eine Entscheidung. Ich renne auf den Bahnbeamten zu, mache ihn auf die Situation aufmerksam, stürze zu der Dame und dem mittlerweile eingetroffenen Gatten. Ich drücke den Türöffner, schiebe die betagten Herrschaften die Stufen hinauf, ihr Gepäck hinterher – puh, das wäre geschafft. Der Zug rollt an, dankbar winken mir die beiden aus dem Fenster zu und ich gehe wieder meiner Wege.
Zugegeben, danach habe ich mich für Momente richtig gut gefühlt. Ich war zufrieden mit mir, hatte helfen können. Mir ging der Spruch durch den Kopf: Jeden Tag eine gute Tat. Doch ist es eigentlich nicht selbstverständlich, sich gegenseitig zu unterstützen, aufeinander zu achten, sich zu kümmern – auch wenn das persönlich nicht immer etwas bringt?
Hinschauen statt wegsehen, einschreiten statt danebenstehen, helfen statt geschehen lassen: Diese Forderungen sind aktueller denn je. Dabei geht es heute nicht mehr nur darum, die alte Frau sicher über die Straße zu begleiten oder den Zug für eine Ausländerin aufzuhalten. Ob in der Münchner S-Bahn, der Berliner City, am Strand von Mecklenburg-Vorpommern oder der Frankfurter Innenstadt: Immer wieder geraten Menschen in arge Bedrängnis – und Deutschland schaut größtenteils dabei zu.
Im September 2009 wird Zivilcourage hierzulande plötzlich zum großen Thema: Auf dem S-Bahnhof München-Solln stirbt der 50 -jährige Dominik Brunner, weil er vier Kinder gegen zwei Halbstarke verteidigen will. Mindestens ein Dutzend Zeugen beobachten das Handgemenge und die Prügelei, eilen Dominik Brunner aus den unterschiedlichsten Gründen aber nicht zu Hilfe. Die Öffentlichkeit ist geschockt: Wie kann ein Mensch am helllichten Tag unter den Augen so vieler Passanten getötet werden? Warum fällt es so schwer, anderen zu helfen?
Klar ist: Brutale Taten wie in München sind Einzelfälle, immer noch und Gott sei Dank. Doch seien Sie ehrlich: Erinnern Sie sich nicht auch an eine Situation aus Ihrem Alltag, in der Sie couragierter hätten sein können, in der Sie spontan hätten zupacken oder helfen wollen, wenn nicht gerade dies oder das Sie daran gehindert hätte?
Zivilcourage heißt, selbstlos für andere einzustehen, auch auf die Gefahr hin, dass einem daraus persönliche Nachteile entstehen. Viele Menschen, für die wir stellvertretend einige Namen in diesem Buch nennen, handeln bereits so. Vielleicht sind es nach dieser Lektüre ein paar mehr. Wenn es uns gelingt, Sie zum Nachdenken anzuregen und für die Perspektive anderer Menschen zu sensibilisieren, dann haben wir unser Ziel schon erreicht.
Wir wollen weder die Welt verbessern noch den moralischen Zeigefinger heben. Doch unsere monatelange Recherche hat gezeigt: Zivilcourage ist nicht so sperrig wie ihr Name. Und sie beginnt bereits im Kleinen. Zivilcourage verlangt keine Heldentaten, es reichen ein offenes Auge und ein großes Herz.
Constanze Löffler und Beate Wagner
im Frühjahr 2011
Vorwort von Bettina Wulff
Jeder kann etwas tun
Als zweifache Mutter frage ich mich häufig, wie es meinem Mann und mir gelingen kann, unsere beiden Söhne zu wachsamen und engagierten Menschen zu erziehen. » Zivilcourage – Keine Frage! « von Beate Wagner und Constanze Löffler gibt einige wertvolle Antworten auf diese Frage.
Es gibt wohl nichts Besseres, als unseren Kindern ein möglichst gutes Vorbild zu sein: Täglich bemühen wir uns, wachsam zu sein, nach unseren Mitmenschen zu schauen, uns einzumischen, uns zu engagieren.
Lassen Sie mich daher von einem Beispiel berichten, das für echtes privates Engagement steht und mich zutiefst beeindruckt hat: die Bürgerstiftung Hannover.
Christian Pfeiffer, Jurist
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