Hinter der Tür
gesagt, er könnte wegen der Streifenwagen nichts unternehmen; es gäbe keine Möglichkeit, die Fahrtrouten zu ändern.«
»Mit der Antwort hatte ich schon fast gerechnet.«
»Er meint, das beste wäre vielleicht, wenn wir alle Schlösser auswechseln ließen. Oder uns einen Wachhund anschafften, was immer das ist.«
»Vielleicht wäre ein Gorilla besser als ein Hund. Ob Hertz wohl auch Gorillas vermietet, Emma?«
»Du scheinst ziemlich müde zu sein, Liebling.«
»Bin ich auch«, sagte Gail. »Ich weiß nicht, ob ich noch die Sachen vom Leib bekomme. Aber ich möchte nicht ganz durchschlafen, Emma, das wäre eine Katastrophe. Weck mich also um halb acht, ja?«
»Ich habe Marengo-Krabben zum Abendessen gemacht.«
»Halb acht, Emma, okay?«
»Gut«, seufzte die Haushälterin. Dann legte sie den Hörer auf und zog erleichtert die Schuhe wieder aus. Als sie eine Stunde später die seltsamen Geräusche aus dem Lautsprecher hörte, war sie froh, daß sie ihre Hausschuhe anhatte. Offenbar war Gail zu müde gewesen, um die Verbindung zu unterbrechen, denn Mrs. Bellin- ger hörte eine schrille Folge hysterisch abgehackter Schrei- und Schluchzlaute aus dem oberen Schlafzimmer. Sie sagte: »Grundgütiger Gott!« und ging mit schmerzenden Füßen zur Treppe. Sie wußte, daß es sich wieder mal um einen Traum handelte, um einen schlimmen Traum – war es das nicht immer gewesen? Aber sie hatte die Laute noch nie in die Küche übertragen bekommen, Laute, die ihr etwas Bedrückendes und zugleich Erschreckendes über Gail Gunnersons Alpträume verrieten: Gail Gunnerson wimmerte und schluchzte wie eine verängstigte Sechsjährige.
2
I ch habe das Gefühl, mein Bart fasziniert Sie«, sagte Dr. Vanner.
»Komisch«, erwiderte Gail kühl, »ich hatte dasselbe von Ihnen angenommen. So wie Sie andauernd daran herumzupfen.«
Er lachte, wobei er gesunde weiße Zähne zeigte, und streifte die Bartspitze mit einer Hand etwas nach oben. »Wissen Sie, damit haben Sie völlig recht. Aber der Grund ist ein bißchen undurchsichtig. Ich ließ mir den Bart wachsen, als ich mit dem College fertig war, vor gut zehn Jahren. Ob Sie‘s glauben oder nicht, vor zehn Jahren war ein Bart ein Kuriosum. Aber jetzt ist er natürlich nicht weiter auffällig.«
»Außer bei alten Männern«, sagte Gail.
»Ja.« Vanner lachte leise. »So ändern sich die Zeiten.«
»Haben Sie sich deshalb einen Bart stehen lassen? Um älter auszusehen?«
»So ungefähr. Um Zutrauen bei den Patienten zu erwecken. Vielleicht wollte ich auch nur mein Idol verehren, Sigmund Sie-wissen-schon. Oder die Leute sollten denken, ich sei seine Reinkarnation. Ich muß das eines Tages mal analysieren.«
»Glauben Sie, daß Sie sich das bei Ihren Honoraren leisten können?«
Vanners Lachen klang nicht mehr ganz so ungezwungen. »Sehen Sie, schon sind wir dabei, über den Arzt zu sprechen und nicht über die Patientin.«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich eine Patientin bin. Ich wollte nur mal mit Ihnen reden.«
»Gut, reden wir. Aber es würde mir weiterhelfen, wenn ich ein bißchen mehr über Sie wüßte als nur Namen, Rang und Sozialversicherungsnummer …«
»Sagen Sie mir, was Sie wissen wollen.«
»Vielleicht sollte ich Ihnen zunächst berichten, was ich schon weiß – von Ihrer Freundin Miss Malmquist.«
»Redet sie denn über mich?«
»Nur wenn sie nicht von sich selbst, ihrem Vater, ihrer Katze oder ihren Begleitern spricht. Normalerweise in dieser Reihenfolge.«
»Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Daß Sie eine Waise sind. Daß Ihr Vater kurz nach Ihrer Geburt starb und Ihre Mutter, als Sie sechs waren. Daß Sie kaum schlafen können. Daß Sie schlimme Träume haben. Daß Sie andere Männer mit Barten besucht haben. Vermutlich mit ähnlichen Diplomen an der Wand.«
»Keiner von denen hatte einen Bart. Und sie waren alle viel älter.«
»Beunruhigt Sie mein Alter? Glauben Sie, ich könnte Ihnen bei der Lösung Ihres Problems nicht helfen, weil ich nicht reif genug bin, nicht weise genug?«
»Sind Sie‘s denn?« fragte sie, und überraschte sich damit selbst.
»Müssen Sie sich davon erst noch überzeugen?« fragte Vanner. »Miss Malmquist sagt, sie hätte mir ziemlich gute Referenzen gegeben. Wenn das nicht genügt – nun, dann muß ich Ihnen meine Kräfte vielleicht irgendwie anders demonstrieren.«
»Zum Beispiel?«
»Im Stil des guten alten Sherlock Holmes. Sie wissen, Conan Doyle war auch eine Art Psychoanalytiker. Seine Technik der Schlußfolgerung,
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