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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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gleichgültig war, so sehr faszinierte sie das Gesicht des Mannes an der Spitze der feierlichen Prozession. In ihrem sechsjährigen Leben war ihr der Anblick wirklicher Häßlichkeit bisher erspart geblieben; doch nun holte sie das nach, nun sah sie eine Häßlichkeit, die durch einen Ausdruck grimmiger, kummervoller Entschlossenheit noch verstärkt wurde. Als dann die drei Männer vorbeigingen und das Schlafzimmer ihrer Mutter betraten, schürte Piers ihre Angst mit den Worten: »Er holt deine Mutter. Du kannst sie jetzt nicht mehr sehen; er bringt sie fort. Er bringt sie fort und tut sie in einen Holzkasten.«
    Entsetzt über seine ernste, tonlose Stimme, starrte sie ihren Vetter an.
    »Es stimmt«, sagte Piers. »Genau das macht ein Leichenbestatter. Er tut dich in einen Kasten. Er steckt den Kasten unter die Erde und begräbt dich!«
    Die drei kamen zurück, mit ihr. Ein Laken verdeckte den Körper von den weizenbraunen Haaren bis zu den bemalten Fußnägeln, und Gail erkannte, daß alles, was Piers gesagt hatte, auf grausame Weise stimmte, daß dem Tod ihrer Mutter ein noch größerer Schrecken folgte, daß es Zeit war, den Schreien freien Lauf zu lassen …
    Tränen versalzten die Milch, die Urs. Bellinger ihr reichte. Gail hatte noch nie Milch und Kekse im Bett serviert bekommen, aber heute war ein besonderer Abend. Sie fragte: »Sind sie fort? Sind alle fort?«
    »Alle, mein Schatz. Onkel Swann und Wetter Piers sind auf dem Heimweg … sie bedauern, daß sie nicht bis morgen zum Begräbnis bleiben können, aber dein Onkel hat wichtige Geschäfte in London. Du weißt doch, wo London liegt, mein Schatz, denk an die Bilder! Die große Uhr, die ich dir gezeigt habe, die Uhr, die Big Ben heißt?« Gail reagierte nicht. Mrs. Bellinger suchte nach einem anderen Thema. Sie ergriff die mechanische Ballerinapuppe auf dem Nachttisch und zog sie auf. »Und jetzt wirst du schlafen, mein Schatz. Ich muß unten noch einiges erledigen, aber ich komme wieder herauf, wenn ich fertig bin; ich bleibe die Nacht bei dir, einverstanden? «
    Die Ballerina drehte sich langsam auf ihrem runden Podest. Als die MusikGails Schluchzen übertönte, stellte Mrs. Bellinger die Figur hin, küßte dem Kind die Stirn und verließ das Zimmer.
    Einige Minuten später war die Ballerina ihres Tanzes überdrüssig, die Musik wurde langsamer und erstarb, und Gail schlief.
    Ehe sie träumen konnte, wachte sie wieder auf.
    Als erstes sah sie die Ballerina, die in einem Entrechat erstarrt war.
    Sie erinnerte sich an den Tod.
    Der Porzellankörper der Tänzerin schimmerte wächsern im Mondlicht.
    Tod, der Besucher.
    Sie unterdrückte ein Schluchzen, das in ihr aufsteigen wollte, und tastete im Bett nach dem warmen braunen Pelz des Puh-Bärs, der das Kissen mit ihr teilte. Sie drückte ihn an sich und dachte an den Tod.
    Tod, derUnglaubliche.
    Dann quietschte der Türknopf, Metall knirschte auf Metall, und Gail hob den Blick ins Licht, zu einem neuen Umriß in der Dunkelheit.
    Die Tür ging auf.

1
    E in Mann verfolgte sie.
    Als ihr die Schritte auffielen, ging sie im Geiste die Liste der Dinge durch, die sie bei sich haben müßte, aber nicht besaß. Einen Mace-Behälter. Eine Polizeipfeife. Eine Hutnadel. Dann vermochte sie einen Blick auf die typische Schnalle seiner Gucci-Schuhe zu werfen und kam zu dem Schluß, daß sein Motiv die Amoure und nicht die Attacke war.
    Natürlich lag es an der Mappe, an dem flachen schwarzen Gebilde unter ihrem Arm. Geschähe nicht zum erstenmal, daß ein Mann sie für das Handwerkszeug eines Fotomodells hielt – und manche Typen hatten recht stumpfsinnig-verquere Vorstellungen von Mannequins. Gewiß, sie hätte durchaus sein können, was die Mappe andeutete; das Leder hätte Muster enthalten können, die die goldene Fülle ihres Haars und die verblüffende braunsamtene Dunkelheit ihrer Augen darstellten. Aber das war nicht der Fall. Kleine Überraschung, Mister! Schauen Sie doch, was sich darin befindet! Verschiedene Modelle. Dicke Frauen. Zeichnungen haariger Frauen. Einige von der Zeichenkohle förmlich seziert: hier ein korpulenter Arm, dort ein Bein und eine Hand, die sich in einer anmutigen dürerähnlichen Geste krümmen sollte. Sofern sie überhaupt eine Hand zeichnen konnte; warum machten Hände so große Schwierigkeiten? Warum konnten die Menschen nicht nur aus Augen und Mündern und Nasen bestehen? Nasen konnte sie besonders gut.
    Sie überquerte die Straße, und er tat es ihr nach. Sie ging wieder zurück,

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