Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
leben. Dies gilt für Einzelne wie auch für Gruppen. Der Konflikt an der Grenze verbindet einen tiefen Veränderungswunsch mit dem nächsten Entwicklungsschritt. Der Wunsch zu diesem nächsten Schritt kann schon da sein, aber noch nicht die bewusste Erlaubnis, die wir oder andere uns dazu geben.
Fallbeispiel
Hier ein kleines Beispiel: Eine Frau, ich nenne sie Anna, hat immer wieder Probleme mit Menschen, die laut sind und angeberisch ihre Vorzüge kundtun. Mit der Kollegin, die im gleichen Büro sitzt, ist es bereits zum Eklat gekommen. Überall drängt sich diese vor, erzählt, was sie alles kann und getan hat, selbst Gemeinschaftsproduktionen gibt sie als die eigenen aus. Verständlicherweise ist Anna genervt und boykottiert jede Zusammenarbeit, bei der die andere die Lorbeeren einstreichen könnte. Wovon träumt Anna oder wovon träumen beide? Wahrscheinlich – und das können wir in einem Coaching mit Anna herausfinden – geht es darum, sich selbst und die eigenen Qualitäten, die eigene Power deutlicher zu zeigen: »Hier bin ich und das kann ich, schaut her!« Nicht angeberisch, sondern bewusst und der jeweiligen Situation angemessen. Vielleicht steckt auch noch ein größerer Wunsch dahinter: z.B. eine besondere Position im Unternehmen einzunehmen. Anna aber hat noch eine Grenze, dies offen zuzugeben und erste Schritte in diese Richtung zu gehen. Eine innere Stimme hält sie zurück: »Du sollst dich nicht hervortun! Du bist nicht gut genug. Die anderen werden dich nie akzeptieren.« Mit einer vergleichbaren inneren Stimme schlägt sich wahrscheinlich auch die Kollegin herum, auch diese glaubt nicht, dass ihre eigenen Arbeiten genügen.
Beide streiten miteinander, während sie davon träumen, mehr gesehen zu werden, mehr Wertschätzung und Anerkennung für ihre besonderen Fähigkeiten und Leistungen zu erhalten. In beiden will etwas Neues entstehen, eine neue Qualität des Sichzeigens. Dazu gehört auch das Bezirzen der eigenen inneren Stimmen, auch diese müssen diese neue Kraft bejahen. Jeder Konflikt trägt das Potential in sich, genau dies zu fördern: in erster Linie Ja zu sich selbst zu sagen und sich auf die eigene Seite zu stellen. Sehr wahrscheinlich sind die beiden Kolleginnen in ihrem Streit mit vielen anderen Frauen verbunden, die in ihren Büros und ihren Teams dafür kämpfen, dass ihre Kraft und ihre Potenz mehr gesehen und geschätzt werden.
Alte Identitäten und Glaubenssysteme müssen bei wichtigen Veränderungen aufgegeben und neue Wege gebahnt werden. Ist dieser Schritt so einfach nicht möglich, der Traum im Hintergrund aber sehr stark, dann reiben wir uns – mit Teilen in uns selbst oder mit den Menschen um uns herum. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die ihre tiefsten Träume im Hintergrund einer zwischenmenschlichen Auseinandersetzung kennenlernen und Ja dazu sagen, manchmal schon in nur einer Beratung ihre Haltung gegenüber den Konfliktpartnern verändern können. Der Schlagbaum an der Grenze geht hoch und öffnet die Passage. Dann geht es nicht mehr darum, wie ich meine Kollegin ändere oder sie loswerde, sondern: Wie kann ich mich selbst entwickeln und welche Fragen und Komplexe muss ich mir anschauen, damit dieser Prozess gelingen kann? Gibt es ungelöste Themen in meiner Familiengeschichte, wie bin ich aufgewachsen, dass es mir als Mann oder als Frau schwer fällt, mich zu zeigen? Welche Strategien könnten helfen, diese Fähigkeit mehr zu entwickeln? Welche Verantwortung trage ich mir selbst gegenüber, damit ich gut in dieser Welt stehen kann?
Dafür ist es ratsam, auch im Denken eine Grenze zu überschreiten und unser Bild von der Wirklichkeit neu zusammenzusetzen. Es reicht nicht, wenn wir uns nur auf die Welt der sichtbaren Ereignisse konzentrieren: Dies ist ein Baum, dies ein Mann und dies ein Satz mit diesen bestimmten Worten. Diese Ebene der vernünftigen Gedanken und Strategien alleine bringt uns nicht weiter, wenn wir Probleme haben und miteinander kämpfen. Viel interessanter ist es, sich auch die
Ebene anzuschauen, wo unsere geheimen Wünsche und die unserer Umgebung verborgen sind.
Dieser Raum, in dem unsere tiefsten persönlichen und kollektiven Veränderungswünsche und Träume unter der Oberfläche der uns bekannten sichtbaren und wahrnehmbaren Wirklichkeit verborgen liegen, kann mehrere Namen haben. In der Systemtheorie wird er die Ebene der Selbstorganisation genannt, wo alles immer wieder neu und auch ohne unser bewusstes Zutun einer
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