Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
gewissen Stabilität und Ordnung entgegenstrebt. Emergenzebene (von emergere : auftauchen, hervorkommen, sich zeigen) heißt er in feldtheoretischen Konzepten, die Traumebene in der Prozessarbeit. Auf dieser Ebene finden wir alles, was auch noch da ist und sich zu bestimmten Zeiten an die sicht- und wahrnehmbare Oberfläche buddelt und durch das häufig unbewusste Zusammenspiel unendlich vieler Faktoren – individuell, gemeinschaftlich und global – zustande kommt.
Für die Schamanen ist auch die beobachtbare Wirklichkeit ein Traum, aus dem eine neue Zukunft erwächst, nur eine von vielen parallelen Welten, so real und wirklich, weil sie wirkt, wie das träumende und noch nicht sichtbare Feld und seine Einflüsse um uns herum. Und was bedeutsam ist: Wir alle sind miteinander verbunden in diesen Traumwelten, von der unsere Wirklichkeit nur eine ist. Alles hängt zusammen und voneinander ab. Das heißt, dass nie ein Einzelner alleine verantwortlich für einen Konflikt ist und die »Schuld« alleine trägt, weil er sich schlecht benommen hat oder was auch immer der Vorwurf ist. Natürlich müssen wir Menschen stoppen, beispielsweise wenn
sie gewalttätig werden. Und dennoch: Wenn zwei Menschen einen Konflikt haben, dann träumen beide und das manchmal stellvertretend für andere in der gleichen Gruppe, Organisation oder Familie.
Häufig gibt es im Hintergrund einen Traum oder Veränderungswunsch, der zur ganzen Gruppe oder Gemeinschaft gehört. Oder es kommt an mehreren Stellen, in anderen Familien, in anderen Organisationen zu ähnlichen Konflikten, dann träumen viele an vielen Stellen einen ähnlichen Traum. In Deutschland und in der westlichen Welt dürfte die 68er Bewegung ein solches Phänomen gewesen sein. Was in Familien, Betrieben, Schulen und Universitäten und vielen anderen Stellen als individuell erlebter Konflikt zwischen den Generationen begann, entwickelte sich zu einer Bewegung mit einer großen gesellschaftsverändernden Kraft.
Der prozessorientierte Blick
Um die Botschaften aus der Traumwelt, aus dem Reich unserer Herzenswünsche zu entschlüsseln, brauchen wir einen neuen Blick auf unsere zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen. Die Prozessorientierte Psychologie und Philosophie, wie sie der Physiker und Jungsche Psychoanalytiker Arnold Mindell in der Prozessarbeit in den 80er-Jahren in der Schweiz und später in Portland, USA entwickelt hat, ist für mich beispielhaft und wie keine andere hilfreich, um uns die hinter Konflikten verborgenen Träume und Entwicklungswünsche bewusst zu machen. Mindell hat eine Methodik und Beschreibungsweise entwickelt, die meine eigenen Erfahrungen und Überzeugungen aufs Beste zusammenfasst und sowohl auf Einzelne wie auf große Gruppen und Organisationen erfolgreich angewendet werden kann. Prozessorientierte Veränderungsarbeit wird getragen von einem spirituellen Geist, der vor allem schamanische und asiatische Weisheiten mit moderner Psychologie und Sozialwissenschaft verbindet. Die politische Dimension, die die Kultur, ihre Zeitgeister und den Rang von Einzelnen wie auch von Gruppen berücksichtigt, macht sie zur Welt- und Friedensarbeit.
Hinter allen Empfindungen und Gefühlen, die wir an uns oder anderen ablehnen, steckt eine verborgene Botschaft.
E ine prozessorientierte Sichtweise nimmt alle Empfindungen, alle Gefühle, alle Zustände, auch die, die wir oder die Gemeinschaft, in der wir leben, nicht leiden mögen, erst einmal als bedeutsam an und weiß,
dass sie sich ausdrücken wollen oder sogar müssen. Das heißt nicht, dass wir Gewalt und Missbrauch auf einmal gutheißen sollen. Es bedeutet, dass wir bereit sein sollten, uns auch die schlimmsten Ausbrüche menschlichen Verhaltens und deren verborgene Botschaft anzuschauen. So haben wir eine größere Chance, sie zu verwandeln und Veränderungsprozesse anzustoßen.
Die Wurzel dieses Denkens liegt im Taoismus, einer Jahrtausende alten östlichen Philosophie. Aus dem Chinesischen übersetzt heißt Tao oder dào Weg und meint den Geist, der alles Leben durchdringt. Aus dem Zusammenspiel der Gegensätze ergibt sich Wandel, Bewegung und letztendlich die Welt.
»Dieser (der Taoismus) nimmt an, dass in der Art, wie sich die Dinge entfalten, die Grundelemente enthalten sind, die notwendig sind zur Lösung menschlicher Probleme«, schreibt Arnold Mindell in Mitten im Feuer . Auch wenn ein Konflikt zwischen zwei Menschen oder in einer Organisation noch so unvernünftig erscheint und das Verhalten der
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