Hinter Jedem Konflikt Steckt Ein Traum, Der Sich Entfalten Will
involvierten Personen als geradezu widersinnig beurteilt wird, dann ist genau dies das Bedeutsame, die Bewegung, die sich natürlicherweise im Prozess ergibt. Wenn wir uns die Essenz dessen, was gerade geschieht, bewusst machen, dann begreifen wir den verborgenen Traum oder den Weg, den etwas nehmen will, und können uns selbst oder anderen Menschen helfen, sich zu verändern. Die Psychologie Mindells legt nahe: In unserem Leben und auch mit unseren Konflikten folgen wir dem Tao, dem natürlichen Fluss der Ereignisse, »dem Weg, auf dem sich alles bewegt«, auch wenn wir das, was gerade in
einer schmerzhaften Auseinandersetzung passiert, noch nicht als zugehörig zu uns oder vielleicht sogar als überflüssig erleben. Wenn wir dem natürlichen Fluss und seinen Biegungen und Umwegen bewusst folgen, sind wir auf dem besten und schnellsten Weg zu einem reichen und glücklicheren Miteinander.
Dem natürlichen Fluss folgen kann heißen, uns in einem Moment gegen einen Menschen zur Wehr zu setzen, im nächsten Moment eine Einsicht zu haben und ihm aufzuhelfen, hinter der darauf folgenden Stromschnelle oder Schleife ein gemeinsames Ziel zu sehen und es zu verfolgen und so weiter. Ungewollte Empfindungen werden nicht unterdrückt oder durch Kommunikationsregeln (wie etwa leise sein, Ich-Botschaften aussenden, freundlich bleiben) aufgelöst, sondern wenn nötig sogar verstärkt, damit die verborgene Botschaft oder der Traum, von dem sie erzählen, verstanden werden kann.
P rozessorientierte Fragen sind: Was ist gut an der Krise, wozu braucht es den Konflikt? Welche Entwicklungswünsche werden befördert? Was ist die Essenz eines störenden Verhaltens jenseits einseitiger Polarisierung oder Gegnerschaft? Wir geben auch den unerwünschten Geschehnissen und Verhaltensweisen einen Raum. Wenn wir unsere Impulse und Gefühle ablehnen und vorschnell ersetzen, schicken wir sie zurück ins Traumreich, wo sie sich neue Wege bahnen müssen.
»Wenn wir Feindseligkeiten kein rechtmäßiges Ventil gewähren, sind sie dazu verurteilt, unrechtmäßige Wege zu gehen«, diese Ansicht Mindells kann ich nur
teilen. Menschen können, wenn sie in ihrem Schmerz, ihrem Leiden oder in ihrer Wut nicht gehört werden, so böse werden, dass sie zu gewalttätigen Mitteln greifen. So manch ungelöster Konflikt wird in der kommenden Generation wieder aufgegriffen.
Vieles von dem, was sich in uns und unseren Gemeinschaften entwickelt, die tatsächliche Motivation für einen Konflikt oder eine zwischenmenschliche Auseinandersetzung, ist uns selten bewusst zugänglich. Schon der Psychoanalytiker C.G. Jung bemerkte, dass dieser uns unbewusste Raum, der das persönliche und kollektive Unbewusste umfasst, einen weit größeren Einfluss auf das, was wird und wirkt, geltend macht, als wir annehmen, wiewohl wir auch nie in der Lage wären, diesen Raum lückenlos kennenzulernen. Unseren bewussten Zielen, Wünschen und Planungen bleibt häufig nur ein kleiner Rest an Einfluss.
Arnold Mindell geht über die Unterscheidung von bewusst und unbewusst hinaus und führt unsere persönliche Identität oder die Identität der Gruppe, zu der wir gehören, als bedeutsame Unterscheidung ein. Das macht eine Haltung möglich, die sehr viel stärker den Kontext, die Kultur, die Zeit und den Ort, in denen Menschen aufwachsen, leben, arbeiten und agieren, berücksichtigt. Dieser Fokus fördert Menschlichkeit und Verständnis auch im schwierigsten Konfliktgeschehen oder in Situationen, in denen wir mit Verhaltensweisen von Menschen konfrontiert sind, die wir zutiefst ablehnen. Wir fragen nach der Grenze, die Menschen noch haben und ohne die sie sich anders verhalten könnten, als sie es gerade tun – eine Frage, die nicht gleich nach Schuld und Verurteilung ruft.
Erst einmal ist alles Verhalten, Denken und Werden eingewoben in ein natürliches und sich ständig veränderndes Prozessgeschehen. Es gibt Prozesse, mit denen wir uns als Einzelpersonen oder als Gruppe identifizieren, und es gibt Verhaltensweisen, Gesten, Gefühle, Ereignisse, mit denen wir uns nicht identifizieren. Dazwischen gibt es die Grenze, die wir uns in der Veränderungsarbeit oder in der Konfliktarbeit genauer anschauen und passierbar machen. Mindell unterscheidet primäre und sekundäre Prozesse. Zum primären Prozess gehören alle Empfindungen, Ansichten, Verhaltensweisen und Geschehnisse, mit denen wir uns einzeln oder in einer Gruppe identifizieren: So sind wir, so denken wir, so handeln wir. Der
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