Hinter verschlossenen Türen
das Geheimnis schon so gut wie verraten.
Ich werde meine Fragen so einzurichten wissen, daß kein Mensch ihren wahren Zweck argwöhnen soll.
Die Dame sah mich mit seltsamem Blicke an. Eine Dienerin, sagte sie, ist kürzlich aus dem Hause entlassen worden. Es geschah auf Wunsch meiner Tochter, welche eine Abneigung gegen die Person gefaßt hatte. Ich selbst hatte nichts gegen sie und war mit ihrer Arbeit zufrieden; bei dem reizbaren Gemütszustand meiner Tochter schien es mir jedoch besser, ihr den Willen zu tun. Vielleicht könnten Sie sich an dieses Mädchen wenden.
Hier schien sich eine Handhabe zu bieten. Gab denn Ihre Tochter Gründe für ihre Abneigung an? fragte ich.
Nichts Erhebliches; sie meinte, es sei eine neugierige, zudringliche Person; wahrscheinlich hatte sie sich zuviel mit der Aussteuer ihrer jungen Herrin zu schaffen gemacht, entgegnete Frau Gretorex; ihr Ton ließ deutlich erkennen, eine Dienerin könne unmöglich etwas über den Aufenthalt ihrer stolzen Tochter wissen, was ihr, der Mutter, verborgen geblieben. Auf mein Verlangen erhielt ich jedoch das Mädchens Adresse und begab mich in die bezeichnete Wohnung, nachdem alle übrigen polizeilichen Vorkehrungen getroffen waren.
Es wäre unnötig, Ihnen weitläufig über meine Unterredung mit der Dienerin zu berichten. Sie verlief wie tausend andere, die ich bei ähnlichen Gelegenheiten gehabt. Ohne es selbst gewahr zu werden, plauderte sie alles aus, was sie über Fräulein Gretorex wußte und vieles andere, was nicht zur Sache gehörte. Ihr Geschwätz drehte sich hauptsächlich um ein Mädchen, welches häufig ins Haus kam, um für ihre Herrin zu nähen; ich mußte es wohl oder übel mit anhören, um den einen wichtigen Umstand zu erfahren, den sie mitzuteilen hatte, daß sie nämlich einmal die junge Dame beim Briefschreiben überrascht habe. Diese sei rot vor Zorn über die Störung geworden, habe die Dienerin heftig gescholten und ihr mit der Entlassung gedroht, die denn auch später erfolgte. –
Und der Brief? fragte Doktor Kameron, der sich vergeblich mühte, äußerlich ruhig zu erscheinen.
Er war nur eben begonnen: »Mein geliebter D–« war alles, was das Mädchen lesen konnte. Vielleicht an den künftigen Ehegatten gerichtet, wer weiß?
Höchst wahrscheinlich, lautete des Doktors spöttische Erwiderung.
Der Detektiv wußte genug. Also nicht an den künftigenGatten, sagte er ernst. Auch sonst ist unter ihren Bekannten keiner, dessen Namen diesen Anfangsbuchstaben trägt. Dies bestärkte mich in meiner ursprünglichen Vermutung, daß nämlich bei Fräulein Gretorex's Verschwinden eine dritte Person die Hand im Spiele habe. Ich traf meine Maßregeln danach, schickte eine genaue Beschreibung ihrer Person und Kleidung an die verschiedensten Orte, ließ überall nach ihr forschen und alle ihre Freunde ausfragen. Sogar hier in Ihrem Sprechzimmer, Herr Doktor, hat ein Geheimpolizist eine halbstündige Unterredung mit Ihnen geführt, ohne daß Sie eine Ahnung hatten, was sein eigentlicher Zweck sei. Alle Bemühungen schienen jedoch fruchtlos bleiben zu sollen. Da erhielt ich am heutigen Morgen die Nachricht, daß eine Person, auf welche meine Beschreibung paßt, in einem gewissen Speisehaus zu Mittag gegessen und sich dann nach dem C-Hotel begeben habe, wo sie in Zimmer 153 zu finden sei. Eine halbe Stunde später war ich dort und fünf Minuten darauf hatte ich sie gesehen.
Und war es – war es – stammelte der Doktor.
Ich sagte Ihnen schon, daß ich das Original jenes Bildes zu sehen glaubte, bemerkte Gryce. Doch kann ich nicht darauf schwören, daß es Fräulein Gretorex ist. Sie trägt wohl die Züge der verschwundenen Braut, aber ihre Kleidung ist nicht ganz dieselbe, in welcher das Fräulein ihr Elternhaus verlassen haben soll. Ein alter Praktikus, wie ich, legt Gewicht auf dergleichen Unterschiede. So steht z. B. in der Beschreibung: » ein feines blaues Tuchkleid mit schwarzer Borte besetzt «; nun hat jene Person zwar ein blaues Kleid an, aber von grobem Stoff und ohne schwarze Borte. Auch trägt sie eine Uhr, und wir wissen, daß Fräulein Gretorex die ihrige zurückgelassen hat. Indessen, fuhr er fort, als sähe er Doktor Kamerons Miene sich erhellen, während er doch nach einer ganzandern Richtung blickte, die Kleidung läßt sich leichter verändern als das Gesicht. Für die kleinen Abweichungen von der Beschreibung weiß ich zwar noch keine Erklärung, aber nach meiner Ueberzeugung ist die Person im Zimmer 153 des
Weitere Kostenlose Bücher