Hinter verschlossenen Türen
Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen wurden. Mich wundert, daß ihr Bräutigam nie eine Bemerkung darüber hat fallen lassen; denn gerade ihm gegenüber benahm sie sich am seltsamsten. Seit Wochen gewährte sie ihm jede Zusammenkunft nur wie eine besondere Gunst, ja sie weigerte sich sogar in den letzten Tagen mehrmals geradezu, ihn zu empfangen.
Und welche Gründe gab sie dafür an?
Ermüdung, Verstimmung, einen dringenden Brief, eine Schneiderin, die nicht warten dürfe – die erste beste Ausrede, die ihr einfiel.
Dennoch wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit fortgesetzt?
Freilich, und die Einladungen herumgeschickt!
Der Ton der letzten Worte gab mir zu denken. Frau A. galt für herablassend, menschenfreundlich, wohltätig, aber sie war eine Weltdame. Ein Verstoß gegen gesellschaftliche Sitte und Herkommen schien ihr ein Ding der Unmöglichkeit. Nachdem ihre Tochter einmal dem angesehenen Manne ihr Jawort gegeben, war dies in ihren Augen unwiderruflich, da sie sich außer stande fühlte, das Gerede und Aufsehenzu ertragen, welches ein Bruch nach sich ziehen mußte. Dies erwägend sagte ich:
Wenn ich Ihnen in Ihrer Bedrängnis beistehen soll, müssen Sie mir gegenüber vollkommen offen sein. Hat Ihre Tochter je den Wunsch ausgesprochen, die Verlobung rückgängig zu machen?
Sie hat einmal gefragt, erwiderte Frau A., ob es zu spät dazu sei. Hierauf konnte ich ihr nur eine Antwort geben, und sie hat nie wieder etwas davon erwähnt. Aber, fügte die unglückliche Mutter schnell hinzu, das war nur eine geistige Verirrung. Sie hat nichts an ihrem Bräutigam auszusetzen – ist durchaus nicht gegen ihn eingenommen.
Nur gegen die Ehe? fragte ich.
Ohne Zweifel.
Und Sie glauben, daß sie den Mann liebt, den sie heiraten soll?
Die Antwort erfolgte zögernd: Als er ihr seinen Antrag machte, war sie beglückt.
Glauben Sie, daß sie einen andern liebt? fragte ich kühn.
Die Mutter schrak entsetzt zurück. O nein, sagte sie, sicherlich nicht. Wie wäre das möglich? In unserm ganzen Bekanntenkreise kommt ihm keiner gleich.
Dies war für den betreffenden Herrn sehr schmeichelhaft, befriedigte mich jedoch nicht.
Mädchen haben zuweilen wunderliche Grillen, wie Sie wissen, sagte ich.
Meine Tochter ist kein junges, unerfahrenes Ding, mein Herr; sie hat sich bisher in allen Lebenslagen klug und urteilsfähig gezeigt.
Hierauf hatte ich nichts zu erwidern. Ich sah, daß Frau A. in vollem Ernst überzeugt war, ihre Tochter leide an einer Art Geistesstörung. Sie teilte mir mit, daß sie inletzter Zeit selbst den Umgang mit der Familie gemieden und sich einzig und allein mit der Sorge um ihre Garderobe beschäftigt habe. Für ihre Schneiderin war sie stets zu sprechen, fügte sie hinzu; jede andere Verabredung mußte zurückstehen, sobald es sich um die Anprobe der neuen Kleider handelte, die eins nach dem andern ins Haus geschickt wurden. Selten hat wohl eine Braut sich so eingehend mit diesen Dingen befaßt. Schon darum ist noch nicht alle Hoffnung auf ihre Rückkehr geschwunden, denn sie wird ihre neuen Kleider doch sehen wollen.
Sie hat ihre Kleider also nicht mitgenommen?
Sie hat gar nichts bei sich.
Wie, keinen Koffer?
Nichts. Das heißt, nur eine kleine Handtasche.
Woher wissen Sie das?
Wir sahen sie ja fortgehen, ganz als wolle sie Stadtbesorgungen machen.
Aber Geld hatte sie doch?
Jedenfalls nicht viel. In ihrem Pult lag ein Päckchen Banknoten. Mein Mann sagt, es sei fast die ganze Summe, die er ihr in letzter Zeit gegeben. Mehr als fünf Dollars wird sie schwerlich bei sich haben.
Dieser Punkt war nicht ohne Bedeutung. Das Mädchen wußte sich entweder zu Bekannten begeben haben oder sie hatte wirklich den Verstand verloren. Auf mein Befragen nannte mir Frau A. die Häuser, in welchen ihre Tochter zu verkehren pflegte, fügte jedoch hinzu, daß die beste Freundin ihrer Tochter sich augenblicklich in Europa aufhalte, und sie mit den übrigen Familien nicht vertraut genug sei, um sie zu solcher Zeit aufzusuchen.
Und sie hat wirklich kein Gepäck bei sich?
Nein. Bei der Durchmusterung ihrer Sachen habe ich nichts vermißt. Auch ihren Schmuck und ihre Uhr hat sie zurückgelassen.
Dies beunruhigte mich. Ich suchte in dem Blick der Mutter zu lesen, ob sie wirklich nichts Schlimmeres befürchte, als was sie mir gegenüber geäußert hatte. War sie denn blind für die so naheliegende Möglichkeit? Darüber mußte ich mir Gewißheit verschaffen.
Bei meinen Bemühungen, Ihre Tochter aufzufinden, Frau
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