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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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bedauert sehr, aber das Fräulein ist eben in wichtigen Angelegenheiten ausgegangen,« konnten sehr wohl nichts als höfliche Redensarten sein, um ihm die Wahrheit zu verhüllen. Und doch schien ihm bei ruhiger Betrachtung selbst diese Vermutung nicht stichhaltig. Es müßte ihm ja zu Ohren gekommen sein, wenn sie krank wäre! Vielleicht wollte sie nur den allzustrengen Forderungen der Etikette entgehen, welche ihre Mutter an sie stellte. –
    Nun, wie dem auch sein mochte, in wenigen Stunden war sie ja sein Weib, die Gefährtin seines Lebens. Und nun wollte er sich aller Gedanken entschlagen und sich einzig und allein an jenen Kuß erinnern. –
    Ein Klopfen an der Tür seines Sprechzimmers riß ihn plötzlich aus seinem Nachsinnen. Aergerlich erhob er sich. Es konnte noch nicht der Hochzeitswagen sein, der ihn abholen sollte, und er hatte doch ausdrücklichen Befehl erteilt, weder Besucher noch Patienten vorzulassen. Vielleicht war es ein Bote von Fräulein Gretorex! Von diesem Gedanken beseelt, eilte er zur Tür. Diese ging jedoch auf, ehe er noch die Klinke berühren konnte, und zu seiner Ueberraschung trat ein ihm unbekannter Herr ins Zimmer. Das Wesen des Fremden hatte etwas Einnehmendes; er sprach ruhig, mit merkwürdig sanfter Stimme, doch schien sein Anliegen dringend zu sein.
    Ich bedauere, Ihnen lästig zu fallen, sagte er. Ihr Diener teilte mir mit, es sei heute Ihr Hochzeitstag, die Trauung finde um acht Uhr abends statt. Trotzdem erlaube ich mir, Sie um eine Unterredung zu bitten, da es sich um eine dringende außergewöhnliche Sache handelt.

    Es fiel Doktor Kamerun auf, daß der Mann ihm beim Sprechen nicht frei ins Gesicht sah, sondern den Blick auf irgendeinen Gegenstand im Zimmer heftete, was keinZeichen von besonderer Offenherzigkeit war; er schien offenbar nicht den höheren Gesellschaftskreisen anzugehören.
    Nehmen Sie gefälligst Platz, sagte der Doktor. Sie kommen doch wohl, um sich ärztlichen Rat zu holen?
    Das nicht, entgegnete jener, wobei sein Auge mit seltsam mitleidigem Ausdruck bald auf der weißen Halsbinde des Arztes verweilte, bald auf andern unbedeutenden Gegenständen, die auf dem Tische lagen. Ich wünsche den Arzt in Ihnen zu sprechen, wenigstens gewissermaßen, aber ich bin kein Patient, fast möchte ich sagen: leider, fügte er mit so sorgenvollem Ton hinzu, daß des Doktors Teilnahme erwachte, obgleich seine Gedanken natürlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt waren.
    So sagen Sie mir, was Sie herführt!
    Das will ich mit Ihrer Erlaubnis, entgegnete der Fremde in kürzerem geschäftsmäßigem Tone, aber ich fürchte, Sie werden kaum Willens sein, die Geschichte anzuhören, welche ich Ihnen zuvörderst zu erzählen habe. An sich ist sie zwar nicht ohne Interesse, paßt aber so wenig zu Ihrer jetzigen Stimmung, daß Sie sich mit Geduld wappnen müssen. Doch ist es nicht zu vermeiden; ich muß sie erzählen, und Sie müssen sie hören – jetzt, gleich, ohne mich zu unterbrechen – ich kann Ihnen nicht helfen.
    Das klang beunruhigend, besonders da der Sprecher nicht den Eindruck eines allzuempfindsamen Menschen machte. Er schien von einem ganz bestimmten Beweggrund getrieben, jedes seiner Worte genau abzuwägen und sich aller Übertreibung zu enthalten.
    Darf ich um Ihren Namen bitten? fragte Doktor Kameron.
    Er wird Ihnen schwerlich bekannt sein, war die ruhige Antwort, es wäre mir lieber gewesen, Sie hätten nicht danach gefragt. Da es aber von höchster Wichtigkeit ist, daß Sie mir Ihr Vertrauen schenken, erlaube ich mir,Ihnen mitzuteilen, daß ich Gryce Sprich Grais. heiße, Ebenezer Gryce, und Beamter der Geheimpolizei bin.
    Doktor Kamerons Befürchtungen verschwanden gänzlich. Was jener auch zu sagen hatte, die Polizei konnte weder mit ihm noch mit einem der Seinigen irgend etwas zu schaffen haben.
    Sie unterschätzen Ihren Ruf, entgegnete Kameron höflich; Ihr Name ist mir wohlbekannt. Sie bedürfen meines Beistandes vermutlich für ein ärztliches Gutachten?
    Der Detektiv wandte den düstern Blick von dem lachenden Cherub auf dem Kaminsims ab und dem Doktor zu, ohne jedoch dessen verbindliches Lächeln zu erwidern oder seine Art und Weise zu ändern.
    Wir werden uns am schnellsten verständigen, wenn ich meine Geschichte erzähle, sagte er und begann ohne weiteres.

Zweites Kapitel.
    Ich fange an alt zu werden, erzählte Gryce, und habe meine Schwächen. Doch gibt es noch immer Sachen, die man nur mir allein anvertraut, solche nämlich, bei denen die Ehre

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