Hinter verschlossenen Türen
gegenüber.«
»Doktor Molesworth, begann ich atemlos. Er aber ließ mich nicht zu Worte kommen.«
»Welche von beiden sind Sie? fragte er. Antworten Sie auf der Stelle; denn, wenn Sie Genofeva sind –«
»Nein, unterbrach ich ihn, ich bin Mildred. Genofeva ist oben, im ersten Zimmer rechts. Hier ist der Schlüssel – gehen Sie hinauf – ich folge sogleich.«
»Er tat nach meinem Willen; ich sah ihn auf der Treppe und wartete, denn man durfte uns nicht zusammen erblicken. Die Schar der Gäste umgab mich wieder, aber ich bahnte mir mit Scherz und Lachen einen Weg und eilte Molesworth nach. Er trat eben wieder über die Schwelle. Da ist sie nicht, rief er in zorniger Erregung, verstummte aber bei meinem Anblick und folgte mir in das Zimmer zurück, das ich hinter mir verschloß.«
»Doktor Molesworth, schrie ich jetzt fassungslos, retten Sie mich!«
»Er starrte mich an. Wo ist Genofeva? fragte er abermals.«
»Ich zitterte, als sei ich ihre Mörderin. Das fragen Sie sich selbst, rief ich. – Sie haben sie umgebracht. Sie vertraute Ihrer Liebe und –«
»Er umfaßte meinen Arm wie mit Eisenklammern. Wo ist sie? Zeigen Sie sie mir! Oder sind Sie es selbst – sind Sie Genofeva? wiederholte er heftig und suchte in meinen Zügen zu lesen, Sie haben das Brautkleid an, sind vielleicht schon Doktor Kamerons Gattin – aber wenn Sie auch das Weib sind, welches versprochen hat, mir anzugehören –«
»Das bin ich nicht. Ich liebe Walter Kameron. Die, welche Sie liebte – liegt hier.«
»Ich führte ihn nach dem Alkoven und enthüllte die Leiche vor seinen entsetzten Blicken.«
»Sie hat den Tod erwählt, um mir mein Glück nicht zu rauben. Zwar kam sie zurück zur Hochzeitsfeier mit Doktor Kameron, aber als sie mich so hoffnungsfroh im Brautschmuck sah, packte sie die Verzweiflung, und sie leerte auf einen Zug das Giftfläschchen, das sie in ihrem Schmuckkasten verwahrt hielt.«
»Er hatte sich bereits über die Tote gebeugt, ihren Puls gefühlt, das Fläschchen aus ihrer starren Hand gelöst und daran gerochen. Blausäure, sagte er, sich emporrichtend mit mühsam erkämpfter Selbstbeherrschung.«
»Sie starb schon nach wenig Augenblicken, rief ich hastig. Jede Hilfe wäre zu spät gekommen, auch hielt sie mich zurück. Es war ihr Wille, ich sollte die Früchte ihres Opfers ernten. Sie bestand darauf, eine von uns müsse glücklich werden, und ihre letzten Worte waren: Sage Doktor Molesworth, er soll dein Glück nicht stören, er soll dir helfen!«
»Er sah mich mit einem mir unverständlichen Blicke an. Mißtraute er mir? Kam ihm ein ähnlicher Verdacht in den Sinn, wie ihn die Polizei gegen mich gehegt hat? Ich glaube es nicht. Wenn er an mir irre wurde – und nach dem, was mir mein Gatte über sein späteres Verhalten berichtet hat, muß das der Fall gewesen sein –, so erwachte sein Argwohn erst später, nachdem er Zeit gefunden, über das Geschehene nachzudenken. Schwerlich hätte er sich sonst so bereitwillig in meine Lage versetzt, mir so großmütig seine Hilfe zugesagt in meiner schrecklichen Not.«
»Denn schon im nächsten Augenblick bezwang er die heftige Bewegung seines Gemüts, und sich zu mir wendend, fragte er mich, ob mein Geheimnis noch ungefährdet, und ich vor Entdeckung sicher sei. Als ich dies bejahte, fuhr er fort:
»Es ist keine Zeit zu verlieren. Doktor Kameronkann schon in der nächsten Minute hier sein, um Sie zu suchen. Wird die Leiche entdeckt, so läßt sich die Täuschung nicht fortführen, und es ist um Sie geschehen. Es stehen Ihnen nur zwei Wege offen: Entweder Sie bekennen offen die Wahrheit und entbinden den Doktor seiner Verpflichtung – wozu ich Ihnen dringend raten würde –, oder Sie nehmen Zuflucht zu meiner Hilfe und überlassen es mir, die Tote von hier wegzuschaffen.«
»Es ist mir unmöglich, ein Geständnis abzulegen, war meine Antwort. Ich habe Doktor Kameron geheiratet und will ihm angehören. Er selbst würde es wünschen, wüßte er, wie alles gekommen ist. Er liebt mich – Genofeva ist tot – ich beeinträchtige niemand durch mein Schweigen und spare allen ein tiefes, nie endendes Leid.«
»Molesworths Lippe bebte, als wolle er meiner letzten Behauptung widersprechen, doch erwiderte er:
»Hören Sie mich, Mildred; ich bin nicht allzu weichherzig, aber Ihre entsetzliche Lage flößt mir Mitleid ein, und ich will Ihnen helfen. Mein Plan ist der folgende: sobald Sie fort sind, trage ich die Tote hinaus – mein Wagen wartet unten – und fahre mit
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