Hinterhalt am Schwarzen Fels
Strecke bis ins Witwen-Stein-Tal.«
»Die frühe Zeit.« Klößchen
furchte die Stirn. »Liegt das am vorgezogenen Termin? Oder wäre das auch
nächsten Montag so?«
»Auch dann.« Tim schnupperte an
seiner leeren Espresso-Tasse. »Reisetag ist Reisetag. Und der Jörg«, gemeint
war Dr. Jörg Midler, derzeitiger Klassenlehrer der 9b mit den Fächern Deutsch,
Geschichte und Ethik, »wird die Woche ausquetschen, dass uns die Ohren
schlackern. So kennen wir ihn doch. Und so ist es okay.«
»Er bringt uns voran«, lachte
Gaby. »Meine Kenntnisse steigen. Mehr Pauker wie ihn im Schulbetrieb — und
Deutschland wäre nicht so weit hinten im internationalen Leistungsvergleich.«
»Aber den löcherigen
Stiefel ziehen wir uns nicht an«, sagte Tim. »Wir tun was für die grauen
Zellen. Und die keltischen Kultstätten im Witwen-Stein-Tal werden — das ahne
ich — unseren Horizont mächtig erweitern. Danach haben wir Weitblick bis zum...
na, Nördlichen Polarkreis.«
»Super!«, meinte Klößchen.
»Aber wo bitte verläuft der ungefähr?«
Tim überlegte.
Karl sagte: »Ziemlich weit oben
in Schweden, beziehungsweise Finnland. Coole Gegend. In klaren Nächten frierst
du dir den Hintern ab.«
In diesem Moment kam Fabrizio
zum zweiten Mal — unaufgefordert. Er brachte einen riesigen Eisbecher, in
grellen Farben verziert mit kandierten Früchten und bunten Schirmchen. Das
Gelato-Kunstwerk wurde vor Gaby auf den Tisch gestellt. Fabrizios Lächeln war
unsicher. Er zog die Schultern etwas hoch.
»Für dich, Gaby. Du bist
eingeladen. Mit einem Gruß... äh... von Hendrik. Er sitzt auf der Veranda — mit
seiner Clique.«
Eiseskälte schien plötzlich
durch das Lokal zu wehen. Klößchen fröstelte. Karl verzog das Gesicht zur
Grimasse und sah Tim an. Gaby hatte sofort ihre Hand auf Tims Arm gelegt,
wandte sich jedoch an den Kellner.
»Danke, Fabrizio! Ich meine —
für deinen Service. Aber nimm’s wieder mit. Von dem Typen lasse ich mich nicht
einladen. Und das weiß der auch. Bald reißt Tim der Geduldsfaden — und was dann
los ist, kannst du dir denken.«
»Dann kannst du Hendrik von der
Wand kratzen«, erläuterte Klößchen dem Kellner, »oder mit dem Handbesen auf die
Müllschippe fegen. Jedenfalls ein Fall für die Ambulanz. Dieser Knete-Prollo
traut sich das nur, weil sein Vater zu den reichsten Männern gehört. Und weil
er ‘nen Leibwächter hat, ‘nen Bodyguard. Ist doch zum Wiehern. Ein 15-Jähriger
mit Leibgardist. Hat er den Landres bei sich?«
Fabrizio nickte und zog die
Schultern noch höher. »Sitzt am Tisch. Hat vorhin seine Pistole rumgezeigt. Er
darf die ja tragen als Leibwächter. Aber dem Patron, meinem Vater, ist das
nicht recht, wenn hier jemand mit Waffen fuchtelt.«
Ich bleibe ruhig, dachte Tim.
Ruhig, ruhig, ruhig! Okay, okay, okay! Wenn ich den Lacko aus den Schuhen
kippe, schießt Landres auf mich. Also müsste ich erst ihn flachlegen. Das wäre
geplante Körperverletzung und rechtswidrig wie ‘n Weltuntergang. Also Galle auf
null schalten, Peter Carsten. Gaby kriegt ja ohnehin die Krise, wenn ich
Argumente in die Fäuste verlege.
Ihre Hand lag noch immer auf
seinem Arm.
Fabrizio nickte, seufzte, nahm
den Eisbecher weg und schob ab.
Nach zwei tiefen Atemzügen
sagte Gaby: »Er behauptet zwar, er wäre unsterblich verliebt in mich, aber das
ist es nicht. Man kann nicht verliebt sein, wenn man gesagt kriegt: Schleich
dich, du Sitzhöcker. Neee! Bei Hendrik Bachheym ist es Sturheit. Der will nicht
wahrhaben, dass er nicht alles — und vor allem nicht j ede — kriegen kann. Hat
da seinen Vater zum Vorbild. Lothar Bachheym — größter Fast-Food-Hersteller
Europas. Ein Synonym, ein sinnverwandter Begriff für Iss-dich-krank-Futter. So
ist das nun mal. Die denken: Mit Geld kann man alles. Jetzt, Tim, geht die
Stichelei gegen dich. Aber bitte, lass dich nicht provozieren. Die
Herausforderung ist unter deinem Niveau.«
Tim grinste wie ein
Königstiger. »Manchmal liebe ich das untere Niveau, Gaby. Das unterste, wo der
Höhlenmensch in mir wach wird. Aber gut, ich beherrsche mich. Nur eins sei
gesagt: Wenn er dich auf der Klassenfahrt anmacht — wie auch immer — , dann
wird das Witwen-Stein-Tal zum Albtraum für ihn — zum Horror, den er sein Lebtag
nicht vergisst.«
Gaby beugte sich zu Tim hinüber
und küsste ihn auf die Wange. »Häuptling, der wird nichts riskieren. So blöd
ist er nicht.«
Darauf würde ich nicht wetten,
dachte Tim. Papas Kohle und der Bodyguard an seiner
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