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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Herrschaften treten zu können. Nur er. Nur diesmal. Er komponierte Dreck
     zu Mehl, er komponierte Schlamm und Kalk und Trauerüberreste zu Keksen, er komponierte den Dunst in der Abzugshaube und den
     angebrannten Knoster am Boden von Töpfen und Pfannen zu eßbarer Melodie, er komponierte die getilgten Wörter und die Leerstellen
     und die Zwischenräume und das Brachland der Stille zu singbarer Schrift, er sah beim Melodiemachen im Geiste einen Prozessionsspinner,
     eine Gallwespe, einen Rüsselkäfer, einen Kiefernspanner, einen Fichtenspinner, und er vertonte das Fressen der Schädlinge,
     und er vertonte ihr Krabbeln in den Fraßgängen unter der Rinde, und wenn er Noten eintrug auf die Linien, wenn er seine Finger
     und den Bleistift dabei betrachtete, hoffte er, daß er seine Seele noch nicht dem Schnickschnack verkauft hatte, und wenn
     seine Seele noch im Fleisch stecken sollte, müßte er sich doch freuen können. Und er freute sich selten. (Ein Komponist ist
     ein Unterhalter der besonderen Sorte: Er ist damit beschäftigt, die meiste Zeit seines Lebens den Schnickschnack seines Alltags
     zu tilgen. Er wünscht sich, daß die Männer und Frauen ihm schon dann um den Hals fallen, da er in seinem Studio eine schöne
     Melodie geschaffen hat. Der Applaus setzt immer zu spät ein. Ist Antonin ein kummervoller Abenteurer?)
    Bist du damit beschäftigt, dich nicht mehr zu verbergen? fragte die Frau und kratzte sich an einer unteren Stelle der Wade, und für Edita klang die Frage wie der Beweis, daß die Tschechen, egal unter welcher Herrschaft sie lebten,
     Träumer waren. Es ärgerte sie. Sie war darüber derart erbost, daß sie das leere dünnwandige Glas aus ihrer Hand gleiten ließ,
     sie alle starrten auf die Scherben zu ihren Füßen, dann erhob sich die Frau, bückte sich in einen Winkel des Hauses und fegtemit dem Besen die Scherben in die Kehrschaufel. Nach dem Herrschaftswechsel waren sie alle damit beschäftigt, den Dreck in
     Grobschmutzschläuche zu saugen, sie alle, und diese Frau in ihrem verspukten Waldhaus (Antonin hatte sich in diese Richtung
     geäußert), diese Frau bewahrte noch Besen und Schaufel auf, statt sie gewinnbringend auf dem Flohmarkt Nostalgikern zu verkaufen.
     Edita entschuldigte sich halbherzig, durch den Bruch des Wasserglases war der Bann gebrochen. Kraft und Anspruch und Frühstückspause,
     das war die neue Zeit.
    Der Abschied fiel kühl aus, sie versprach, das zerbrochene Glas zu ersetzen, und als sie auf dem Beifahrersitz saß und zurückschaute,
     sah sie die Frau, wie sie den Kehricht auf das Beet schüttete, und ein hüpfendes Glanzlicht im Dunkeln in der Nähe der Frau
     bemerkte sie auch, dann nahm Antonin die Kurve, und sie fuhren zurück. Sie bat ihn, sie vor ihrem Haus in Smichov abzusetzen,
     er mußte deswegen einen großen Umweg fahren, er schaute oft in den Rückspiegel, als gelte es, einen Verfolger abzuschütteln,
     und irgendwann auf halber Strecke hielt sie es nicht mehr aus und fragte ihn, ob das nun eine schicksalhafte Begegnung war
     oder nicht. Er hätte antworten können: Das wird sich herausstellen, das werden wir noch sehen. Er hätte sagen können: Es ist
     spät, ich bin müde, und hast du vorhin auch die Eule rufen gehört? Er hätte erst lange schweigen und dann die Stille brechen
     können: Ja. Statt dessen schwieg er lange und sagte dann: Mir war so, als hätte ich eine kleine Zipfelmütze mit einer Lichttroddel
     herumwandern gesehen.

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    Wir, die kleinen Gauner, sterben langsam aus, es treten an unsere Stelle jene, die nicht reinen Blutes sind, sie wollen nicht
     wirklich lange leben, sie wollen nur große Geschöpfe sein, bisein gewöhnlicher Mann sie umbringt. Bei einem Gauner reichen Gunst und Gabe zu Geschäften hier, zu Geschäften dort. Man läßt
     uns nicht mehr tun, wir bewegen uns im Schatten der Kleinigkeiten. Es gibt zwischen dem Fuchs und dem Pelzhändler ein besonderes
     Verhältnis, der Jäger ist vernachlässigenswert, er erlegt das Tier, das ist keine große Kunst. Die Polizisten heißen Ordnungshüter,
     als würden wir – die Diebe und die Tagediebe – ordnungswidrig handeln. Worin besteht unsere Gaunerei? Wir schnappen uns einen
     begehrenswerten Gegenstand und verkaufen ihn dem Hehler. Wir, die kleinen Gauner, enden früher oder später beim Hehler, der
     uns an den Meistbietenden verpfeift – er will seine Haut retten, und uns wird die Haut über den Kopf gezogen. Das ist meine
     Philosophie, oder sie

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