Historical Collection 04
dessen Tod hatte sich Emmas verhasster Cousin Edward zum Lehnsherrn aufgeschwungen. Seitdem war Emma hier nicht mehr zu Hause, sondern ein schlecht gelittener Gast.
„Was ist mit jenem Ritter dort, dem das halbe Essen im Bart klebt?“, flüsterte Rowena, die Kammerfrau, die in Emmas geheimes Ansinnen eingeweiht war. Sie wies auf einen tumben Kerl, der seine besten Jahre eindeutig hinter sich hatte und dessen gerötetes Gesicht von Trunksucht sprach. Er nagte am Ende eines dicken Knochens und legte dabei weniger Manieren an den Tag als Edwards stinkende Köter.
Fast hätte Emma sich angewidert geschüttelt, unterdrückte den Drang jedoch geflissentlich. Sie wusste, dass Rowena es nur darauf anlegte, sie von ihrer verstohlenen Begutachtung abzubringen. Edward du Bois war kaum zu Emmas Vormund ernannt worden, da hatte er auch schon angekündigt, sie so rasch als möglich zu verheiraten – an den erstbesten seiner schurkischen Kumpanen, der bereit war, über ihre fehlende Mitgift hinwegzusehen. Zwei Tage darauf hatte er erklärt, er habe jemanden gefunden und die Vermählung finde in zwei Wochen statt. Emma war einem furchterregenden Tyrannen versprochen worden, dessen erste Gemahlin sich gleich nach der Hochzeitsnacht von den Zinnen gestürzt hatte.
Anstatt das gleiche Ungemach zu durchleiden wie jene bedauernswerte Maid, hatte Emma vor, die Hochzeitspläne zu durchkreuzen, indem sie den angeblich einzigen Vorzug veräußerte, den ihr Bräutigam an ihr sah.
Ihre Unschuld.
„Ich finde, der Bursche ist ein wenig zu stattlich gebaut für das erste Mal einer Jungfrau“, entgegnete Emma ruhig, wohl wissend, dass Rowena sie von ihrem Vorhaben abzubringen suchte, indem sie auf die reizlosesten Gestalten unter den anwesenden Rittern verwies. Glücklicherweise war der Mann, der ihr Gemahl werden sollte, heute nicht zugegen. „Wie wäre es mit jemandem, der weniger wiegt als ein Pferd?“
Rowena funkelte sie aufgebracht an, während der Lärm in der Halle zunahm. Heute Abend floss der Wein in Strömen, weil Edward seinen zweifelhaften Anspruch auf Edenrock gegenüber den hiesigen Adeligen zu festigen hoffte. Edward hatte sich in Abwesenheit des eigentlichen Lords – Hugh de Montagne – auf der Burg eingenistet, der wiederum ein gemeinsamer Cousin von Emma und Edward war. Hugh hatte die Burg vor zwei Monaten verlassen und war seitdem wie vom Erdboden verschluckt. Um sich die Besitzungen unter den Nagel zu reißen, hatte Edward überall Gerüchte über angebliche Gräueltaten des rechtmäßigen Herrn über Edenrock verbreitet – Gräueltaten, die Edward selbst an den Nachbarn verübt hatte.
Nun beköstigte er seine neuen Freunde, als handele es sich bei diesen um hohen Besuch aus dem Königshause. Er hatte so viel Braten auftragen lassen, dass Emma fürchtete, er habe den Wald bis auf das letzte Tier geplündert. In einem Rauchfass am jenseitigen Ende der Halle glomm Räucherwerk, mit dem man bemüht war, die Ausdünstungen so vieler Menschen auf engem Raum zu bekämpfen. Die Hunde hielten sich in der Nähe der Tafelnden, begierig auf die übrig bleibenden Knochen lauernd.
„Ein jeder, der nicht Euer Gemahl ist, ist der Falsche für Euer erstes Mal.“ Rowena hatte aufgrund des Gesprächsstoffs die Stimme gesenkt, obgleich sie am Ende einer aufgebockten Tafel fernab der herrschaftlichen Empore saßen. Der nächste Gast befand sich zwei Armeslängen entfernt.
Rowena war ein Jahr älter als Emma und in einer wohlhabenden Familie zur Welt gekommen, die einer Seuche zum Opfer gefallen war. Zurückgeblieben waren ein heruntergewirtschaftetes Anwesen und ein Haufen Schulden, den zu erlassen König Henry sich geweigert hatte.
„Wäre es dir lieber, wenn ich mich widerspruchslos in die Ehe mit einem Kerl fügte, der, so munkelt man, ein ganzes Dorf in seinen persönlichen Harem verwandelt hat?“ Emma hatte jemanden dies im Scherz sagen hören, im Anschluss an eine besonders blutige Jagd vor einer Woche.
„Mir wäre es lieber, wenn Ihr gründlich über die Folgen nachdenken würdet, die Euer Plan nach sich ziehen könnte.“ Rowena zupfte Emma am Ärmel und neigte ihr den Kopf zu, während zwei Ritter neben ihnen in Streit gerieten und handgreiflich wurden. „Anstatt ins Kloster verbannt zu werden, wie Ihr hofft, könnte Edward Euch gnadenlos züchtigen. Schlimmer noch – er könnte Euch gnadenlos züchtigen und Euch anschließend einem noch ärgeren Wüstling überlassen, der in der Hochzeitsnacht sein
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