Historical Collection 04
Bauchgefühl zu vertrauen?
„Ich bitte Euch, Sir …“
„Was ich natürlich niemals tun würde“, fuhr er leichthin fort. Sie hatten das Wäldchen hinter sich gelassen, und im Schatten der Dunkelheit ließ sich voraus eine Ansiedlung erahnen. „Aber das weiß du Bois ja nicht.“
Erleichterung durchbrandete sie so jäh, dass ihr schwindelte. „Ich bin Euch dankbar für Eure christliche Barmherzigkeit, muss Euch jedoch sagen …“
„Was ich tue, hat nichts mit Barmherzigkeit zu tun, sei sie nun christlicher oder anderweitiger Natur.“ Im bläulichen Dunst der mondlosen Nacht blickte er auf sie herab. „Ich habe schlicht nichts davon, Euch etwas anzutun. Du Bois ist derjenige, der zahlen soll.“
„Ihr solltet wissen, dass mein Cousin mir eine Mitgift vorenthält und mich so rasch als möglich loszuwerden gedenkt. Ich fürchte, Ihr habt ihm lediglich in die Hände gespielt dadurch, dass Ihr mich verschleppt habt.“
„Ihr wisst es also nicht“, sagte er. Ihr war schleierhaft, was er damit meinte. Der Sinn der Worte wollte sich ihr nicht erschließen.
Jenseits der Dächer des schlummernden Dorfes sah Emma die Mauern einer kleinen, aus Stein errichteten Burg. Um den Wohnturm herum brannten mehrere Feuer, und während sie näher ritten, hörte Emma im Burghof Männer lachen und schwatzen. Kurz wunderte sie sich darüber, dass sie es vorzogen, sich draußen um die Feuer zu scharen, wo doch gleich nebenan die Große Halle lockte. Doch als Gareth auf den Wohnturm zuhielt, erkannte sie, dass dieser sich noch im Bau befand. Die neue Steinburg entstand um eine alte Holzburg herum, die offenbar gleichzeitig abgerissen wurde. Das ehrgeizige Bauprojekt war es wohl, das die Männer veranlasst hatte, unter den Sternen zu sitzen.
„Was weiß ich nicht?“, bohrte sie nach in der Hoffnung auf eine Erläuterung von diesem seltsamen Burschen, der die Gefangenschaft in der Fremde überlebt hatte, um sich, kaum zurückgekehrt, sogleich an den Bau einer neuen Heimstatt zu machen. Widerwillig zollte sie ihm Bewunderung dafür, dass er zunächst seine Feste instand setzte, ehe er auf Rache sann.
Ringsumher erhoben sich die Männer, um ihren Lehnsherrn zu begrüßen. Ein Knappe lief herbei und nahm ihm das Pferd ab, nachdem er abgestiegen war und Emma aus dem Sattel geholfen hatte. Zwei Frauen öffneten die Türflügel des einzigen bereits vollendet wirkenden Wohnturmabschnitts. Eine von ihnen reichte Gareth eine Fackel, und er hielt sie in die Höhe und schwenkte sie kurz, ein Signal an seine Männer.
„Der Kerl, dem Edward du Bois Euch geben will, hat es nicht auf eine Mitgift abgesehen“, erklärte er Emma, während er sie durch die noch unfertige Halle zu den Gemächern führte, in denen die Familie des Burgherrn wohnen würde. „Er will Euch einem Kerl geben, der berüchtigt dafür ist, Geschmack an Grausamkeiten zu haben, und soll im Gegenzug ein großzügiges Brautgeld erhalten.“
Emma stolperte über die Schwelle zu einem kleinen Privatgemach, in dem sich außer einem Stuhl und einem Tisch keinerlei Möbel befanden. Im Kamin prasselte ein Feuer und tauchte die spärlich eingerichtete Kammer in einen rotgoldenen Schein.
„Ihr irrt.“ Derlei Gerüchte waren ihr nicht zu Ohren gekommen – und auf Edenrock wurde viel gemunkelt, seit Edward dort das Zepter schwang. Wenn er solch üble Ränke geschmiedet hätte, wäre ihr das doch gewiss zugetragen worden.
Mit einem Mal waren ihre Knie butterweich, und sie stützte sich am Tisch ab. Von einem Fremden ihrem Zuhause entrissen zu werden hatte sie nicht so verschreckt, wie diese Neuigkeiten es taten.
„Keineswegs“, entgegnete er.
Zum ersten Mal gestattete Emma sich, ihren Entführer eingehend zu betrachten. Im Laufe des Abends hatte sie erfahren, dass andere ihm mit Respekt begegneten. Seine Rache folgte keineswegs dem biblischen Grundsatz „Auge um Auge“. Stattdessen ließ er Milde walten, ohne sich damit zu brüsten.
Und mochte er auch behaupten, sie allein für seine eigenen Zwecke geraubt zu haben, hatte er sie doch im Grunde vor dem Unhold gerettet, mit dem Edward sie gewaltsam vermählen wollte. Denn so gern sie etwas anderes geglaubt hätte, wusste sie, dass ihr Entführer hinsichtlich des Brautgeldes die Wahrheit sagte. Das Gefeilsche um ihre Hand war von Anfang an in aller Hast und Heimlichkeit geschehen.
Sie durfte nicht zulassen, dass Edward seinen Plan verwirklichte. Mehr denn je wollte sie das Komplott ihres Cousins durchkreuzen, und der
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