Historical Collection Band 5
Missgeschick hätte eigentlich sie treffen müssen, nicht Cheng, der die Strafe wirklich nicht verdient hatte. Er war doch nur ein einfacher Scholar, der nichts anderes tat, als in seinem Studierzimmer zu sitzen und nächtelang zu pauken, um seiner Familie Ehre zu machen. Er hatte ihr lediglich geholfen, obwohl sie ihm anfangs noch nichts bedeutet hatte.
Der Wagen fuhr weiter, und sie passierten einen weiteren Häuserblock, aber sie kamen nicht schneller voran als ein Boot in einem vereisten Fluss. Jia kaute verzweifelt an ihrer Unterlippe. Selbst jetzt noch war sie nicht fair gegenüber Cheng. Er war nicht einfach – er war gut. Luo Cheng hatte keine Faser Selbstsüchtigkeit in sich. Und wie zärtlich er sie noch in den frühen Morgenstunden angesehen hatte. Hatte ihren Namen geflüstert … Nein, nicht ihren Namen. Nicht einmal darin war sie aufrichtig mit ihm gewesen. Er hatte sie umarmt, sie eine Schönheit genannt und sie zum Lachen gebracht. Sie geliebt. Als Dank dafür hatte sie ihn ausrauben und verprügeln lassen, und jetzt war er im Gefängnis. Sie hatte nichts Gutes oder Reines an sich.
Hektisch schlug sie mit der Hand auf die Seite der Sänfte. „Wir müssen umdrehen!“ Sie musste schreien, damit der Fahrer sie hörte. „Schnell!“
Jia zog ihre seidene Geldbörse aus dem Gürtel. Die Banknote lag gefaltet darin. Sie nahm sie heraus und strich sie auf ihrer Handinnenfläche glatt. Papier fühlte sich im Vergleich mit Bronze oder Kupfer so unbedeutend an. Fliegendes Geld nannte man es auch, als könne es wegflattern und verschwinden.
Der Anblick der Schriftzeichen darauf trieb ihr tatsächlich fast wieder die Tränen in die Augen, aber im Norddistrikt hatten sentimentale Gefühle keinen Platz. Nur für eine Nacht hatte sie sich etwas gönnen wollen, anstatt sofort zum Meister der Truppe zu gehen, und das hier war dabei herausgekommen. Sie hatte große Pläne gehabt. Sie hatte sich von all ihren Schulden und Sorgen befreien wollen.
Aber Cheng hatte auch Träume und Pläne. Sein größter Traum sollte ihm nun ihretwegen genommen werden. Sie wusste nicht, ob sie es wirklich schaffen würde, aber wenn nicht, würde sie sich für den Rest ihres Lebens schuldig fühlen.
5. KAPITEL
D ie Tür der Arrestzelle wurde geöffnet. Der streng blickende Wärter an der Tür nickte ihm barsch zu, was Cheng so interpretierte, dass er frei war und gehen konnte. Es konnte aber genauso gut bedeuten, dass er nach draußen geführt wurde, damit man an ihm öffentlich die Prügelstrafe vollzog.
Zu seinem Erstaunen wartete Rose draußen neben dem Wachraum des Oberaufsehers auf ihn – nicht Minister Lo, wie er erwartet hatte. Sie hatte eine Tasche um die Schulter geschlungen und sah sichtlich nervös zu, wie die Ketten von seinen Handgelenken gelöst wurden. Obwohl er sich in einer schwierigen Situation befand, wurde ihm die Brust weit, weil Rose seinetwegen besorgt war.
Kaum war er seine Fessel los, griff sie nach seiner Hand. „Beeile dich!“
Sie rannten aus dem Gebäude, und Rose zog ihn mit der Kraft und Energie eines winzigen Wirbelsturms hinter sich her. Straßenverkäufer und Fußgänger mussten zur Seite springen, um ihnen Platz zu machen. Ihr Kleid flatterte hinter ihr her wie der Schwanz eines Glücksdrachen. Sie war ein wundervoller Anblick.
„Warte. Wie hast du es geschafft, mich freizubekommen?“, fragte er, als sie an einer belebten Kreuzung anhalten mussten.
„Dein Vermieter hat ausgesagt, er habe dich aus dem Zimmer kommen sehen.“ Rose stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die Menschenmenge zu spähen. „Aber der Dummkopf Guo hatte gar keinen richtigen Beweis gegen dich in der Hand.“
Sie eilten weiter, wichen Karren aus, Cheng musste in kleinen Gassen manchmal den Kopf einziehen. Die frische Morgenluft strich an seinen Ohren vorbei, seine Muskeln begannen zu brennen, und das Blut wurde so schnell durch seinen Körper gepumpt, dass es ihn immer weiter vorwärtstrieb. Die kaiserlichen Prüfungen ragten drohend vor ihm auf, die Minuten verstrichen eine nach der anderen, doch er wusste nur, dass Roses Hand um seine geklammert war. Nichts konnte sie aufhalten.
Bald hatten sie die Prüfungshalle vor sich. Rose flog geradezu die Stufen hinauf. Sogar mit seinen längeren Beinen konnte er kaum mit ihr Schritt halten. Er hätte schwören können, dass sie noch dringender wollte, dass er die Prüfung bestand, als er selbst. Als sie fast oben angekommen waren, hielt sie schließlich an und
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