Historical Exklusiv Band 42
mit den Fingern über die kleine Schnittwunde strich, die sie ihm mit dem Säbel zugefügt hatte.
Devlin wollte vor den Erinnerungen ebenso davonlaufen wie vor den Bildern, die ihn manchmal am helllichten Tag verfolgten und ihm in der Nacht den Schlaf raubten. Die Bilder, die er auch mit Alkohol und anderen Ausschweifungen nie ganz hatte auslöschen können.
„Und wenn ich es nicht tue, wirst du mich dann wieder mit meinem Säbel aufspießen?“
„Es tut mir leid, Devlin“, erwiderte sie und küsste ihn auf die Verletzung.
Ihm tat es leid, dass er diese Bemerkung gemacht hatte.
„Du hast an jenem Tag den Säbel mitgeführt, nicht wahr?“
O verdammt! Sie wollte das Thema nicht auf sich beruhen lassen. Nun gut. Wenn sie es unbedingt hören wollte, dann eben. Sie würde all die entsetzlichen Dinge erfahren, und dann würde sie schon sehen, mit welchem Ungeheuer sie das Bett teilte.
„Es ist nichts für zarte Ohren.“ Immerhin konnte er auf diese Weise darauf verweisen, dass er sie gewarnt hatte.
„Ich habe schon viel gehört, das sich nicht für zarte Ohren eignete.“
Einen Moment lang hatte er tatsächlich vergessen, in welcher Hölle sie lange Zeit gefangen gewesen war.
Devlin holte tief Luft. „Zuerst waren da die Geschütze …“
Französische Kanonen richteten in den Reihen der Verbündeten Tod und Verderben an, ehe der unerbittliche Schlag der Trommeln ankündigte, dass die erste französische Artillerie vorrückte. Devlin hörte die Schreie der Verwundeten, sah, wie Leiber vor ihm zerfetzt wurden.
Wellingtons zusammengewürfelte Truppe aus unerfahrenen Soldaten war den Tausenden und Abertausenden von Franzosen hoffnungslos unterlegen, die alle neue, strahlende Uniformen trugen und ihrem Kaiser Napoleon Ruhm bringen wollten, der wie durch ein Wunder zurückgekehrt war.
Als der Befehl gegeben wurde, damit die Kavallerie vorrückte, wollten Devlin und seine Männer das Blut des Feindes vergießen. Der Rachegedanke berauschte sie und ließ sie die französische Infanterie mit solcher Gewalt überrennen, dass die Männer nur noch die Flucht antreten konnten. Er erinnerte sich an die Begeisterung, mit der er seinen Säbel in die Leiber von Soldaten jagte, die sich eigentlich vor ihm in Sicherheit bringen wollten. Die Luft roch nach Blut und Schweiß, Schießpulver und Gras.
Er erzählte Madeleine, wie er über Leichen und Leichenteile ritt, über Männer, die sich noch regten, und Männer, denen niemand mehr helfen konnte.
Sie hörte ihm aufmerksam zu, während er im Schneidersitz auf dem Bett saß. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, doch Devlin sah nur die Erinnerungen vor sich.
„Das Töten dauerte nicht lange“, sagte er, „denn die Kürassiere kamen.“ Wieder schloss er die Augen und sah sie, Hunderte von ihnen in glitzernden Uniformen auf ausgeruhten Pferden. „Zunächst ritten sie langsam, wurden dann aber immer schneller, so wie Felsbrocken, die von einer Klippe stürzen und einen am Ende unter sich begraben. Ich wies meine Männer zum Rückzug an, doch sie hörten mich nicht.“
Madeleine drückte seinen Arm.
„Unsere Pferde wurden mühelos eingeholt, da sie es mit ihren Tieren nicht aufnehmen konnten. Die Kürassiere rächten sich an uns, meine Männer schrien vor Entsetzen auf, als sie einer nach dem anderen niedergemetzelt wurden – so wie wir es eben erst mit der Infanterie der Franzosen gemacht hatten.“
„Du hast das mit angesehen?“, fragte sie mit leiser Stimme.
Wenn er die Augen schloss, sah er alles wieder, was er damals erlebt hatte. „Ich war einen Moment lang allein und sah die Toten, von denen ich dort umgeben war. Es war nur ein kurzer Moment …“
„O Devlin“, flüsterte sie mitfühlend.
„Er währte aber nicht lange. Ein französischer Offizier auf einem großen schwarzen Pferd stürmte auf mich zu. Ich konnte ihm nicht entkommen, da die Toten und die Sterbenden mich an einer Flucht hinderten. Mein Pferd hatte keine Chance davonzupreschen.“
Devlin erinnerte sich noch gut an die zum Teil abgebrochenen, vergilbten Zähne des Mannes und an jede Pockennarbe in seinem Gesicht, an das siegesgewisse Leuchten in seinen fast schwarzen Augen.
„Griff er dich an?“
„Er griff mein Pferd Courage an“, erwiderte er. Dieses arme Tier, das einen Instinkt fürs Kämpfen zu besitzen schien, hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet. „Es ist die beste Methode, um eine Kavallerie kampfunfähig zu machen, denn ohne Pferd sind wir nichts. Der Franzose
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