Historical Platin Band 04
blieb sie doch nichts als eine Gefangene, die wie jede andere Ware auch verkauft und gekauft werden konnte.
Sie ließ sich indessen ihre kleinen Hoffnungen und ihre großen Befürchtungen nicht anmerken, sondern brach scheinbar gelassen das Brot. Mit freundlichen Worten und sanftem Drängen überredete sie die Kinder zum Essen.
„Ich will nach Hause“, jammerte Betha leise, und in ihren dunklen Augen standen Tränen.
„Das will ich auch. Trotzdem müssen wir hier noch eine Weile bleiben, bis dein Vater uns holen kommen kann.“ Meradyce nahm das kleine Mädchen fest in den Arm und schaute sich dabei in dem großen Raum um. Zum ersten Mal fielen ihr jetzt die herrlichen Wandbehänge auf. Sie waren vermutlich geraubt und wurden jetzt ausschließlich dazu benutzt, um die Kälte der Außenwände abzuwehren. Dass sie von ausgesuchter Schönheit und mit großer Kunstfertigkeit hergestellt waren, wurde hier wohl kaum bewundert.
„Komm!“, befahl der Wikinger unvermittelt. Er stand auf und zog Meradyce ebenfalls hoch. Sofort schauten sämtliche Männer in der Halle zu ihnen her, brüllten schlüpfrige Bemerkungen und grinsten so schwachsinnig wie alle Narren, die nur das eine im Kopf hatten.
Meradyce rührte sich nicht. Sie wollte nicht mit ihm gehen, und sie hatte auch Angst davor, die Kinder hier allein zurückzulassen. Betha klammerte sich an ihrem Gewand fest. Adelar sprang auf und ballte die Hände zu Fäusten.
„Nimm sie mit“, befahl der Wikinger rau.
Meradyce erwiderte nichts und blickte ihn auch nicht an. Sie nahm die Kinder an die Hand und folgte ihm mit unsicheren Schritten, die nichts mit den Auswirkungen der tagelangen Seefahrt zu tun hatten.
Der Wikinger führte sie aus dem Langhaus. Es war inzwischen Nacht und noch kälter als zuvor geworden. Meradyce fröstelte. Sie nahm Betha auf den Arm, die so fror, dass ihre Zähne klapperten.
Der Mann führte sie zu einem Haus, das nicht weit von der Halle des Häuptlings entfernt stand. Er schlug die Tierhaut zurück, welche den Eingang bedeckte, und bedeutete Meradyce, sie möge eintreten. Sie zögerte einen Moment, leistete dann jedoch der Aufforderung Folge. Bisher hatte er sie vor den Kindern nicht gedemütigt; sie hoffte, dass er auch jetzt nicht beabsichtigte, dies zu tun.
Im Haus befand sich eine ältere Frau. „Einar!“, rief sie aus und trat herzu.
„Das ist meine Mutter“, erklärte der Wikinger. „Sie stammt aus dem Sachsenland wie du.“
Meradyce stellte die kleine Betha auf den Boden und schaute dann die ältere Frau an. Jetzt wusste sie auch, weshalb der Mann ihrer eigenen Sprache mächtig war.
Von der Rückseite des Gebäudes kam ein junges Mädchen mit dichtem rotgoldenem Haar herbei und schaute die Ankömmlinge aus großen grünen Augen an. Zwar schwieg das Mädchen, doch Meradyce gewann den Eindruck, als verberge sich hinter dem nichtssagenden Gesicht ein sehr wacher Geist.
„Das ist meine Tochter“, sagte der Wikinger.
Meradyce hatte bisher nie darüber nachgedacht, dass auch Wikinger Mütter und Kinder haben mussten, und die Vorstellung ließ dieses Volk etwas weniger böse erscheinen.
„Wer sind sie, Einar?“, fragte die ältere Frau freundlich und nickte zu Meradyce und den Kindern hinüber.
„Gefangene, die wir gegen Lösegeld ausliefern werden.“ Meradyce schaute ihn an. Sie sollten wieder ausgeliefert werden! Das war natürlich viel besser, als in die Sklaverei verkauft zu werden. Doch wie kam der Wikinger darauf, dass man Lösegeld für sie bezahlen würde?
Natürlich weil sie in der Halle des Thans gefunden worden waren. Kendric würde zahlen, zumindest für seine Kinder.
Die alte Frau betrachtete Adelar sehr ernst und wandte sich dann wieder an ihren Sohn. „Es kann nicht einfach für dich gewesen sein, diesen kleinen Burschen gefangen zu nehmen, Einar“, meinte sie. „Er sieht wie ein tüchtiger Krieger aus.“
Adelar bedachte die Frau mit einem zweifelnden Blick, und Meradyce war schon versucht, sie zu warnen, dass der Junge es verabscheute, wie ein Kind behandelt zu werden.
„Ist diese kleine Schönheit deine Schwester?“, erkundigte sich die Frau.
„Ja“, antwortete Adelar.
„Bist du müde?“, fragte sie Betha mitfühlend.
Betha hielt sich an Meradyce’ Hand fest und nickte. „Ja.“
„Die Kinder werden hier bei dir bleiben, Mutter.“ Erschrocken blickte Meradyce den Wikinger an. Adelar stellte sich beschützend vor sie.
„Olva!“ Von draußen her hörte Einar seinen älteren
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