Historical Saison Band 01: Ein Duke zum Fest der Liebe? / Eine pikante Weihnachtsüberraschung / Maskerade unterm Mistelzweig / Die Nacht der heimlichen Wünsche
hätte die Möglichkeit, ein Weihnachtsfest zu bereiten wie früher ihre Mutter.
Die Kundschaft war heute in Scharen erschienen. Nachdem sie die letzten Zahlen im Kassabuch addiert hatte, nickte Lavinia zufrieden. Wenn ihre Rechnung richtig war, durfte sie heute sechs Pence aus der Kasse nehmen – ein halber Shilling, der helfen würde, sie ihrem Ziel näher zu bringen. Sie atmete tief durch. Trotz des herben Geruchs nach ledergebundenen Büchern und Tinte glaubte sie fast, den Duft von gebratenem Geflügel wahrzunehmen. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihren Vater am Kopfende des Tisches sitzen, die Wangen endlich wieder vor Freude gerötet.
Sie griff nach der Kasse und begann zu zählen.
Die Glocke über der Tür klingelte – und das nur eine Minute bevor die Leihbücherei schloss. Eine eisige Windbö fegte herein, und Lavinia blickte verärgert auf. Als sie sah, wer der späte Besucher war, stockte ihr der Atem.
Es handelte sich um Mr. William White, einen der Kunden, der Neuerscheinungen bereits im Voraus bestellte. Plötzlich wurde Lavinia klar, dass ihr dieser Name im Lauf des vergangenen Jahres schon sehr viel öfter durch den Sinn gegangen war, als gut für ihren Seelenfrieden war.
White nahm Hut und Handschuhe schon auf der Schwelle ab und schüttelte die Regentropfen von seinem nassen grauen Mantel. Er war hochgewachsen und hatte kurz geschnittenes dunkles Haar. Im Gegensatz zu manch anderem Besucher trödelte er nicht an der offenen Tür und ließ so nicht die Kälte von draußen ins Innere des Ladens dringen. Stattdessen bewegte er sich schnell, zielbewusst, ohne jedoch den Eindruck zu vermitteln, in Eile zu sein. Nur wenige Augenblicke waren vergangen, da war er bereits eingetreten und hatte die Tür vor dem eisigen Wetter verschlossen.
Lavinia sah ihm in die dunkelbraunen Augen und biss sich vor innerer Anspannung unwillkürlich auf die Unterlippe.
„Miss Spencer.“ Er nickte knapp.
Es war nichts Außergewöhnliches an seiner Begrüßung, und dennoch erschauerte Lavinia. Seine Stimme, tief und wohlklingend und an sich schon aufregend, musste ein Grund dafür sein, aber was sie besonders anziehend fand, war sein Akzent, den sie nicht einordnen konnte. Es war weder der harte Cockney-Slang der Botenjungen noch der flache, arrogante Ton der Londoner Aristokratie. Seine Aussprache war die eines kultivierten Mannes, der allerdings aus einer weit entfernten Gegend zu stammen schien. Jedes Mal, wenn er „Miss Spencer“ sagte, stellte Lavinia sich vor, an wie vielen exotischen Orten er bereits gewesen sein musste.
Und wünschte sich insgeheim sehnsüchtig, dass er hinzufügte: „Möchten Sie mit mir kommen?“
Ja. Sehr gern sogar
. Mit einem solchen Mann wäre sie überallhin gegangen. Sie errötete heftig, weil sie wusste, wie sehr das tatsächlich zutraf. Ihm würde sie so manchen Wunsch erfüllen. Liebend gern.
Natürlich wusste sie, wie unvernünftig sie sich verhielt, wenn es um Mr. William White ging. Doch wenn man sich mit neunzehn nicht so wegen eines Mannes aufführen durfte, in den man sich verliebt hatte, wann dann? Es war so schwierig, stets ernst und nüchtern zu sein. Ihr Leben war schon in jeder anderen Hinsicht ernst und nüchtern.
Und so nahm sie all ihren Mut zusammen. „Frohe Weihnachten, Mr. White.“
Er stand suchend an einem Regal, und bei ihren Worten drehte er sich zu ihr um.
Sein Blick verweilte kurz auf ihr, und verlegen schaute Lavinia auf die Ladentheke, um ihr Erröten zu verbergen.
Er brauchte nichts zu sagen, um sie erschauern zu lassen, schon einer seiner aufregenden Blicke genügte, und ihr stockte der Atem. Einen wundervollen Moment lang glaubte sie, er würde sie ansprechen. Vielleicht würde er sogar näher kommen.
Sie musste schlucken vor freudiger Erregung. Doch er wandte sich ohne ein Wort erneut den Regalen zu.
Wie schade. Heute würde sie ihn also wieder nicht dazu bekommen, mit ihr zu sprechen. Vielleicht würde es ihr niemals gelingen. Und da Mr. William White wie gewöhnlich entschlossen schien, sie nicht zu beachten, war es wohl an der Zeit, dass sie sich wieder ernsten, nüchternen Dingen zuwandte. Sie zählte die Münzen aus der Kasse und machte noch mehr kleine Stapel aus je zwölf Pence daraus. Nur selten irrte sie sich, trotzdem zählte sie gleich dreimal nach, um ganz sicher zu sein. Es waren sieben Shilling und viereinhalb Pence. Weniger, als sie vermutet hatte.
Beunruhigt kaute sie auf der Unterlippe und warf einen Blick in das
Weitere Kostenlose Bücher