Historical Saison Band 18 (German Edition)
bevor seine auffallenden Augen funkelten, als ob ihm eine wichtige Erkenntnis gekommen wäre. „Mr Napes, Sie müssen wissen, dass ich mich keinesfalls in Ihre Befugnisse einmischen möchte. Ich denke, meine Fähigkeiten liegen in anderen Bereichen, vielleicht sogar hier bei Mrs Willard.“
„Oh!“ Der Kammerdiener wirkte einen Augenblick überrascht, um nicht zu sagen, erleichtert. „Du brauchst dir jedenfalls keine Sorgen machen, mein Junge“, versicherte er deutlich freundlicher. „Seine Lordschaft befiehlt, dass du zu ihm in die Bibliothek kommst.“
„Nicht ganz, Mr Napes“, verbesserte ihn der Butler, als der Page die Küche verlassen hatte. „Er bat darum, das Kind möge ihn in der Bibliothek aufsuchen … bat, wohlgemerkt.“
„Nun, das hört sich seltsam an, Mr Brindle“, mischte sich die Köchin ein, während der Butler sich zu ihr an den Tisch setzte. „Allerdings hat der Junge eine sehr gewinnende Art, das muss man ihm lassen. Vielleicht hat Seine Lordschaft eine Zuneigung zu ihm gefasst.“ Die Köchin zuckte plötzlich zusammen. „Oh, Jesses! Sie meinen doch nicht …?“
„Diese Möglichkeit kam mir kurz in den Sinn“, gab der Butler zu, der den Gedanken der Köchin sofort erraten hatte. „Doch abgesehen von der Haarfarbe besitzt das Kind meines Erachtens keinerlei Ähnlichkeit mit dem Lord – und auch nicht mit dessen älterem Bruder, wenn wir schon davon sprechen. Auch halte ich den Jungen für zu alt, um ein illegitimer Sprössling des Viscounts zu sein.“
„Nicht nur das, Mr Brindle. Der Herr war in jungen Jahren eine so gesittete Person“, rief ihm die Köchin ins Gedächtnis. „Niemals ist sein Name in dieser Zeit mit irgendeinem Skandal in Zusammenhang gebracht worden. Erst als er aus Frankreich zurückkehrte und entdecken musste, dass Miss Charlotte für ihn verloren war, hat er sich verändert.“
„Das war noch vor Ihrer Zeit, Mr Napes“, erläuterte sie, als sie merkte, dass der Kammerdiener sie verwundert anschaute. „Miss Charlotte war die Tochter eines Nachbarn. Sie und Master Benedict – so wurde Seine Lordschaft genannt, bevor er den Titel des Viscounts erbte – waren seit frühesten Kindertagen befreundet und lange Zeit unzertrennlich. Nach dem Wunsch seines Bruders sollte Master Benedict zuerst sein Studium in Oxford beenden, bevor er der Verbindung der beiden seinen Segen geben wollte. Master Benedict sollte dann ein hübsches Anwesen, zu dem auch ansehnliche Ländereien gehörten, ein paar Meilen nördlich von Fincham Park erhalten. Aber kaum hatte Master Benedict sein Studium beendet, unternahm er eine überstürzte Reise nach Frankreich. Er tat dies, um seinem Freund Mr Gingham zu helfen, einen Cousin oder anderen Verwandten in Sicherheit zu bringen. Damals herrschten dort üble Zustände, Mr Napes, und man ermordete dort all die Herrschaften. Gottlos ging es dort zu! Master Benedict war damals einige Wochen fort“, berichtete sie und kehrte zur eigentlichen Geschichte zurück. „Als er schließlich heimkam, fand er heraus, dass Miss Charlotte einige Zeit bei einer Tante in London verbracht und dort kurzerhand Lord Wenbury geheiratet hatte.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Danach war er nie mehr der Alte, nicht wahr, Mr Brindle? Er wurde kalt und abweisend.“
„Gewiss wurde er weniger zugänglich“, räumte der Butler ein. Dann schüttelte er den Kopf. „Aber das Kind scheint in ihm etwas gerührt zu haben. Ich schwöre, ich habe ihn lachen hören, kurz nachdem ich dem Jungen gezeigt hatte, wo sich das Ankleidezimmer befindet. Ich habe den Viscount schon seit Langem nicht mehr so lachen hören.“
„Wo kommt der Junge nur so plötzlich her? Das wüsste ich gern von Ihnen, Mr Brindle. Seit Seine Lordschaft den Titel übernommen hat, hat er sich stets auf Ihr Urteil verlassen, wenn es darum ging, Personal einzustellen“, rief ihm die Köchin in Erinnerung. „Ich glaube kaum, dass der Page von einer Vermittlung geschickt wurde.“
„Da bin ich mir auch ganz sicher. Ebenso bin ich überzeugt, dass er nie zuvor bei jemandem in Diensten stand. Ich weiß nur, dass seine Lordschaft ihn gestern mit nach Hause brachte. Bestimmt verrät uns der Bursche mehr über sich, wenn er sich erst einmal bei uns eingewöhnt hat.“
Auch der Viscount, der an seinem Schreibtisch in der Bibliothek saß, hatte beschlossen, geduldig vorzugehen. Er würde seinen wundersamen Pagen nicht weiter mit Fragen quälen, sondern den rechten Augenblick abwarten, um
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