Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft
|9| Einleitung
Im Januar 2009, in den letzten Tagen der Bush-Regierung, gab der damalige Vizepräsident Dick Cheney der Nachrichtenagentur
Associated Press ein Interview. Unter anderem wurde er von den Journalisten gefragt, warum seine Regierung nicht in der Lage
gewesen sei, die größte Finanzkrise seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre vorauszusehen. Seine Antwort war vielsagend:
»Niemand war klug genug, das zu durchschauen. Das hat niemand kommen sehen.« 1
Cheney stand mit dieser Einschätzung keineswegs allein da. Während der Krise antworteten die Wirtschaftsweisen und Politiker
im Chor mit derselben rhetorischen Frage: Wer hätte das vorhersehen können? In demselben Interview verglich Cheney die Finanzkrise
mit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001: Es handelte sich um eine Katastrophe, die aus heiterem Himmel zuschlug.
Doch das stimmt so nicht. Die bekannteste Prognose stammte von Nouriel Roubini, einem der beiden Autoren dieses Buchs, der
im September 2006, also auf dem Höhepunkt des Booms, an prominenter Stelle eine deutliche Warnung aussprach. 2 Anlass war eine Rede, die Roubini, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der New York University, am 7. September vor
dem Internationalen Währungsfonds in Washington D. C. hielt. Das Publikum war skeptisch, viele hielten seine Warnungen für
überzogen. Roubini |10| sagte vorher, die Wirtschaft der Vereinigten Staaten werde in absehbarer Zukunft einen noch nie dagewesenen Einbruch auf dem
Immobilienmarkt, einen heftigen Ölpreisschock und eine deutliche Verschlechterung des Konsumklimas erleben, die unweigerlich
in eine tiefe Rezession münden würden.
Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, entwickelte Roubini ein noch erschreckenderes Szenario. In dem Moment, in dem
Hausbesitzer nicht mehr in der Lage wären, ihre Hypothekenschulden zu bedienen, komme das gesamte globale Finanzsystem zum
Erliegen, da mit diesen Hypotheken besicherte Wertpapiere im Wert von Billionen von US-Dollar verfielen. Der bevorstehende
Zusammenbruch des Immobilienmarktes könne die strukturellen Probleme im Finanzwesen zutage fördern und damit eine Krise auslösen,
die Hedge-Fonds, Investmentbanken und staatlich geförderte Bausparkassen wie Fannie Mae und Freddie Mac zu Fall bringen könnte.
Während Roubinis Vorhersagen im Laufe der folgenden anderthalb Jahre eintrafen, entwickelte er seine pessimistischen Prognosen
weiter. 3 Obwohl die meisten Wirtschaftsexperten Anfang 2008 noch versicherten, die Vereinigten Staaten litten lediglich unter einem
Liquiditätsengpass, prophezeite Roubini eine schwere Kreditkrise, die Haushalte, Unternehmen und in besonders dramatischer
Weise das Finanzwesen betreffen würde. Lange vor dem Zusammenbruch von Bear Stearns sagte er vorher, dass zwei große Investmentbanken
die Krise nicht überleben und die übrigen ihre Unabhängigkeit verlieren würden. Das Gesicht der Wall Street werde sich vollkommen
ändern, und es komme zu Umwälzungen, wie sie die Welt seit den 1930er Jahren nicht mehr gesehen habe, warnte er. Einige Monate
später war Bear Stearns Geschichte und Lehman Brothers hatte Konkurs angemeldet. Wenig später wurde Merrill Lynch von der
Bank of America übernommen, während Morgan Stanley und Goldman Sachs in Bankholdinggesellschaften umgewandelt wurden und sich
damit stärkerer staatlicher Aufsicht unterstellen mussten.
|11| Auch die globale Ausweitung der Krise sah Roubini früher vorher als die meisten anderen Beobachter. Während Wirtschaftsexperten
noch zuversichtlich verkündeten, der Rest der Welt werde von den Verheerungen in den Vereinigten Staaten verschont bleiben,
warnte er bereits, dass sich die Krise auch auf das Ausland ausdehnen und sich die nationale Krankheit zu einer globalen Finanzepidemie
ausweiten werde. Er prognostizierte, die noch hypothetische Strukturkrise werde die schlimmste weltweite Rezession seit Jahrzehnten
auslösen und auch die Volkswirtschaften von China, Indien und anderen Nationen erfassen, die nach allgemeinem Dafürhalten
gegen die Probleme in der amerikanischen Wirtschaft gefeit waren. Während andere Experten sich noch um die Inflationsgefahr
sorgten, erkannte Roubini schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, dass die Weltwirtschaft am Rande einer fatalen Deflationsspirale
stand, wie es sie seit der großen Krise 1929 nicht mehr gegeben habe.
Roubini stand mit seiner bemerkenswerten Weitsicht allein: Kein
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