HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 01
einen Schneesturm begeben habt, um der Ankunft Eures Onkels aus dem Weg zu gehen, der Euch unter Druck gesetzt hat, damit Ihr wieder heiratet? Vielleicht einen seiner Cousins? Jemanden, den Ihr genauso wenig leiden könnt wie Euren ersten Ehemann?“
Campions Blick wanderte zu Joy. Sprach Stephen die Wahrheit? Wenigen vermögenden Witwen war es gestattet, so lange Zeit nicht wieder zu heiraten, wenn es männliche Verwandte oder Lehnsherren gab, die von einer Heirat profitieren konnten. Eine Witwe ohne Kinder und mit einem anständigen Besitz wäre eine nette Summe wert. Campion hatte sich schon über Joys Freiheiten gewundert, sich aber von ihrer Stärke und ihrer Selbstsicherheit täuschen lassen. Er dachte, sie sei gänzlich unabhängig, nicht aber eine Frau, die bedrängt wurde, wieder zu heiraten.
Kein Wunder, dass sie sich ihm zugewandt hatte.
Campion verspürte einen Stich, so groß war die Enttäuschung. Tatsächlich war er in dem Glauben gewesen, ihr Verlangen nach ihm sei echt, wenngleich auch fehlgeleitet. Doch nun durchschaute er ihre Avancen als die Versuche einer intelligenten Frau, sich vor einer weiteren schlechten Ehe zu schützen. Das konnte er ihr nicht zum Vorwurf machen, und er hatte auch weiter Respekt vor ihr, dennoch war da dieser Schmerz, da er sich nicht nur in seinem Stolz verletzt fühlte. Doch sein Ehrgefühl gewann schnell wieder die Oberhand. Hier war eine Dame in einer Notlage, eine reizende und gebildete Frau, die seinen Schutz suchte – den er ihr verweigert hatte.
„War es nur ein Zufall, dass Ihr herkamt, oder wart Ihr auf der Suche nach einer besseren Beute?“, wollte Stephen wissen. „Vielleicht nach einem Mann, dem es egal ist, dass Ihr womöglich unfruchtbar seid?“
Campion konnte seine Wut auf Stephens Spott kaum fassen, als er von seinem Platz aufsprang und die Hände auf den Tisch schlug. „Das ist genug!“ Mehr traute er sich nicht zu sagen.
Stephen drehte sich um, als hätte er völlig vergessen, dass sein Vater zugegen war, und noch mehr verblüffte ihn, wie dieser ihn soeben angebrüllt hatte. Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen, dann griff Stephen mit einem leisen Brummen nach seinem Becher und trank weiter. Die Stille ringsum im Saal war nahezu erdrückend, sodass Campion den Weihnachtssingern ein Zeichen gab, von vorn anzufangen. Dann nahm er wieder Platz und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Frau neben ihm.
„Ist das wahr?“, fragte er sanft. Joy saß mit gesenktem Kopf da, ihr Gesicht war hinter ihrem vollen Haar verborgen, was Campion befürchten ließ, dass sie weinte.
Sofort bewies sie ihm das Gegenteil und sah ihn mit wütender Miene an. „Vielleicht.
Und wenn es so wäre?“, fragte sie in herausforderndem Tonfall. „Es ist nicht das erste Mal, dass Hobart mich bedrängt, ich solle endlich wieder heiraten, und es wird auch nicht das letzte Mal sein. Aber seht Ihr mich heiraten? Nein.“
Sie stand auf und wirbelte zu Stephen herum, wobei sie in ihrer beherrschten Wut erhaben wirkte. „Da es meine Angelegenheit ist, aber nicht Eure, Stephen de Burgh, werde ich das tun, was ich für richtig halte. Aber ich kann Euch versichern, dass es mir keinerlei Probleme bereitet, mich mit meinem Onkel auseinanderzusetzen. Das mache ich schon seit Jahren. Oder wollt Ihr da etwas anderes behaupten?“
Stephen wand sich unter ihrem zornigen Blick. Ohne seine Antwort abzuwarten, machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Saal mit einer so würdevollen Ausstrahlung, dass Campion ihr nur ungläubig nachschauen konnte. Er hatte es die ganze Zeit über gewusst. Sie hatte ihm nicht nur etwas verschwiegen, sondern sie war für ihn auch zu hübsch, zu willensstark, zu selbstständig und zu leidenschaftlich … als dass er ihr hätte widerstehen können.
Er wusste, was zu tun war.
6. KAPITEL
Am Morgen vor dem Neujahrstag wachte Campion auf und fühlte sich von einer neuen Entschlossenheit erfasst. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass es von entscheidender Bedeutung war, den richtigen Moment abzupassen. Daher war er Joy auch nicht gefolgt, als sie am Abend zuvor aus dem Saal stürmte. Er wusste, sie war eine starrsinnige Frau, und das umso mehr, wenn sie sich über etwas geärgert hatte. Also gab er ihr Zeit, ihre Wut verrauchen zu lassen, da er glaubte, dass sie so am nächsten Tag für vernünftige Argumente empfänglicher sein würde.
Was ihn anging, so hatte er seine Entscheidung getroffen. In Anbetracht von Joys Dilemma war sein
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