HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 02
machte ihm nichts aus, dass sie einem toten Krieger gehört hatten.
„Ja. Falls sie dir passen.“ Sie sammelte die Teller ein. „Wenn der Winter kommt, wirst du festes Schuhwerk brauchen.“
Man musste den Buben nicht drängen, mit seinem Fuß hineinzuschlüpfen. Er stand auf und wackelte mit den Zehen. „Sie sind groß. Aber wenn du mir ein Paar dicke Socken strickst, sind sie in Ordnung.“
Lindsay seufzte. „Ich werde heute Abend damit anfangen. Bis sie fertig sind, kannst du die Spitzen mit etwas Wolle ausstopfen.“
Die Augen des Jungen leuchteten vor Aufregung. Es war das erste Paar Stiefel, das ihm gehörte. Bis jetzt hatte er sich die Füße immer mit Fellstreifen umwickelt.
Das kleine Mädchen hielt einen groben Wollmantel hoch. „Wirst du den behalten, Lindsay, oder willst du ihn gegen etwas eintauschen?“
„Das hängt davon ab.“ Lindsay stand mit dem Rücken zu ihnen, wusch die Teller ab und stellte sie beiseite. „Ich werde ihn zuerst Heywood Drummond anbieten und sehen, wie viel er dafür bietet.“
Als er den Namen erwähnte, sahen die Kinder einander an, und beide rümpften sie die Nase.
„Vielleicht ist er bereit, mir dafür einen Krug Milch von seiner Kuh zu geben.“
„Und dann wird er hingehen und den Mantel für den doppelten Wert verkaufen“, sagte ihr Vater mit einem Anflug von Abscheu.
„Ja. Gut möglich.“ Sie wischte den Tisch sauber. „Solange er mir gibt, was ich verlange, nehme ich es ihm nicht übel, wenn er Gewinn macht. Nun denn“, sie sah die beiden Kinder an, die bereits hinter vorgehaltener Hand gähnten, „ich glaube, es ist an der Zeit, euch ins Bett zu stecken.“
Ohne zu widersprechen kletterten sie die Leiter zu ihrer Schlafstelle hinauf. Als Lindsay ihnen folgte, beobachtete sie, wie ihr Vater nach dem Fässchen griff. Sie unterdrückte ein Lächeln. Eigentlich hätte sie mit ihm schimpfen müssen. Das war Teil ihres Spiels. Die Wahrheit aber war, dass es sie freute, ihm etwas mitbringen zu können, das ihm seine Bürde erleichterte. In den letzten Jahren hatte es so viel Elend in seinem Leben gegeben. Zu wissen, dass er heute Abend warm und zufrieden einschlafen würde, tat ihrem Herzen gut.
Sie küsste den Knaben und das Mädchen und lauschte ihren geflüsterten Gebeten. Nachdem sie sie mit warmen Fellen zugedeckt hatte, schlüpfte sie die Leiter wieder hinunter und griff nach ihren Stricknadeln und einem Strang Wolle.
Minuten später machte sich ihr Vater, vom Bier erwärmt, auf den Weg in sein Bett. Auch wenn Lindsay sich danach sehnte, es ihm gleichzutun, weil sie sich unglaublich erschöpft fühlte, gab es doch jetzt noch keine Ruhe für sie. Solange das Feuer nicht niedergebrannt war, würde sie sich zuerst um Brocks Socken kümmern.
Dann, und erst dann, würde sie dem Bedürfnis nach Schlaf nachgeben, zufrieden darüber, dass sie für ihre Familie alles getan hatte, was in ihrer Kraft stand.
2. KAPITEL
Morgan lag ruhig da und bemühte sich, Erinnerungsfetzen zu einem Bild zusammenzufügen. Fremde strömten aus dem Wald, entschlossen zu töten. Schwerter blitzten. Schreie und Flüche. Und Blut. So viel Blut. Männer fielen zu seinen Füßen nieder, während andere über ihre toten Kameraden kletterten, um ihn zu erreichen.
Er hatte standgehalten. Beim Himmel, er hatte standgehalten, obwohl einer seiner Arme nutzlos an ihm baumelte und sein Körper zerschlitzt und zerrissen wurde, bis wahre Höllenfeuer über ihm losbrachen.
Er erinnerte sich an einen letzten Schurken, der mit erhobenem Schwert auf ihn eindrang und dabei wüste Beschimpfungen brüllte. In diesem Augenblick hatte Morgan gewusst, dass seine Kraft, ja sein Leben dahinschwand. Es hatte ihm übermenschliche Zähigkeit abverlangt, aufrecht stehen zu bleiben.
War es ihm gelungen, den Gesetzlosen zu überwältigen? Oder war es ihm misslungen? Da er Schmerzen hatte, wusste er, dass er am Leben war. Auch wenn man das kaum noch als Leben bezeichnen konnte. Ihm war heiß. So heiß.
Irgendwo in der Nähe knisterte und prasselte ein Feuer. Er versuchte, seine Arme zu bewegen, aber irgendetwas, das um ihn herumgewickelt war, hinderte ihn daran. Vielleicht war er jetzt ein Gefangener.
Es gelang ihm, die Augen zu öffnen. Und er erblickte ein höchst erstaunliches Bild.
Eine Frau. Sie hielt den Kopf gebeugt, sodass ihr Haar wie ein Schleier nach vorne und ihr in einem Wust roter Locken über eine Schulter fiel. Sie trug ein grobes, handgewebtes Gewand, das nachlässig über die
Weitere Kostenlose Bücher