Mein verräterisches Herz: Roman (German Edition)
1
A lex Knight kämpfte gegen die Müdigkeit an, die auf seinen Lidern lastete, und fuhr sich mit unsicherer Hand durchs Haar – ein matter Versuch, Klarheit in seinen benebelten Kopf zu bringen. Er musste sich auf die Straße konzentrieren. Knapp zehn Meilen vor seinem Haus einem Unfall zum Opfer zu fallen, nachdem es ihm geglückt war, im Dschungel Brasiliens dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, wäre eine unüberbietbare Ironie des Schicksals gewesen. Er ließ das Fenster des Mietwagens herunter und atmete die kühle Novemberluft ein. Der Duft des Nadelwaldes würde ihn erfrischen. Keine drei Tage zuvor hatte er noch geglaubt, faulig-feuchter Dschungelmoder wäre das Letzte, was er je riechen, und das Gekreische der Affen das Letzte, was er je hören würde.
Jetzt aber war er zu Hause, dank einer Riesenportion Glück und seiner Entschlossenheit, nicht im stinkenden Dschungel durch die Hände wahnwitziger Rebellen den Tod zu finden. Nun, Glück allein war es nicht gewesen, dem er seine Heimkehr verdankte, sondern vor allem auch der Gedanke an seinen Vater und an seine Brüder, die ihn brauchten, sowie an seine beiden Kinder, die ihn noch nötiger hatten und die schließlich nicht zu Waisen werden sollten.
Als Alex in die private Forststraße der Knights einbog,
war er mit einem Mal hellwach. Freudige Erwartung beschleunigte seinen Puls und ließ seinen Fuß schwer auf dem Gaspedal ruhen, als er das Schild passierte, das ihm anzeigte, dass er sich nun auf dem Grundstück von North Woods Timber befand. Noch acht Meilen Schotterstraße, die er wie seine Westentasche kannte, und der Schoß der Familie hatte ihn wieder.
Alex wich gefrorenen Pfützen aus, als er beschleunigte und den Wagen um eine Kurve steuerte, ehe er über die massive Holzbrücke rumpelte, die den Oak Creek überspannte. Vorletzten Sommer hatte er mit Ethan und Paul diese Brücke neu erbaut und konnte sich noch gut an die Debatten mit seinen Brüdern erinnern, als es um die Bauweise gegangen war. Ethan hatte für Stahlträger plädiert, Paul wollte nur eine Fahrspur, und Grady, dem Vater und Patriarchen des kleinen Clans, war es einerlei, wie die Brücke gebaut wurde, solange sie nur fertig wurde, bevor womöglich ein beladener Holztransporter im Bach landete.
Alex runzelte die Stirn, als er den Wagen beschleunigte. Verdammt, wo steckte seine Familie überhaupt? Er hatte vor drei Tagen von der US-Botschaft in Brasilien aus unzählige Male zu Hause angerufen; am Tag zuvor hatte er es von Mexiko aus abermals versucht, und heute Morgen nach der Landung in Maine wieder. Niemand hatte sich gemeldet. Nur eine mechanische Stimme hatte ihm mitgeteilt, dass der Anrufbeantworter voll sei.
Eine schöne Heimkehr. Verdammt, immerhin war er dem Tod von der Schippe gesprungen – und keiner hatte eine Ahnung! Von der Firma, für die er in Brasilien gearbeitet hatte, wusste er, dass man vor elf Tagen zwei Mann
nach Oak Grove geschickt hatte. Sie sollten seiner Familie schonend beibringen, dass er getötet worden war und dass der Fluss seinen Leichnam vermutlich mitgerissen hatte, als eine Bande von Aufständischen die Baustelle überfallen hatte, auf der er als Ingenieur tätig war: ein Staudamm. Dies bedeutete, dass eigentlich alle zu Hause sein und ihren Verlust betrauern müssten, anstatt sich irgendwo herumzutreiben. Doch nun sah es ganz danach aus, als würden die fünf Menschen, die er so innig liebte, seine wundersame Auferstehung verpassen.
Alex bremste scharf, als der dichte Wald sich plötzlich lichtete und einen spektakulären Blick auf den See freigab. Er wartete, bis der eisige Dunst sich legte, während er aus dem offenen Fenster starrte. Sein langer und schmerzlicher Seufzer drückte das Gefühl aus, das er empfand, als er die nördlichste Bucht des Frost Lake erblickte, die tief in die dicht bewaldeten Berge hineinreichte. Es war ein Anblick, der nie verfehlte, ihn anzurühren, und heute Morgen empfand er ihn als besonders bewegend.
Mit einem Mal überfiel Alex die Erinnerung an eine andere, bereits zehn Jahre zurückliegende Heimkehr, als er seine Braut nach Hause geführt hatte. Er hatte an ebendieser Stelle angehalten, und sie hatten von ihrer gemeinsamen Zukunft gesprochen – Charlotte von ihren Plänen, die Küche des Blockhauses auf den neuesten Stand zu bringen, und Alex von seiner Hoffnung, seinen Landbesitz in den nächsten zwei Jahren um noch einmal hunderttausend Morgen zu vergrößern.
Er schüttelte den Kopf. Wie naiv er mit
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