HISTORICAL WEIHNACHTEN Band 02
geweckt hatte.
Doch dann sagte er das eine Wort, das sie wieder zur Vernunft brachte. Bettschatz.
Jetzt sah er sie fragend an und lockerte den Griff, als sie in seinen Armen erstarrte. „Was hast du?“, wollte er wissen.
„Ich möchte, dass Ihr mich loslasst.“ Sie senkte den Kopf und wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Bitte.“
Er tat, was sie verlangte, und sie trat rasch zurück. „Ich verstehe nicht. Olivia …“
„Ich fürchte, Ihr habt meine Unerfahrenheit missverstanden. Ich bin in etwas hineingeraten, das ich nicht verstehe.“
„Und was ist das, wenn ich fragen darf? Ein einfacher Kuss?“
„Das war ein einfacher Kuss?“ Endlich brachte sie den Mut auf, ihm in die Augen zu sehen. Der Ausdruck darin erschreckte sie. Es war ein fast schmerzlicher Blick. „Wenn Ihr das behauptet, müsst Ihr mich für naiv halten.“
„Olivia.“ Er streckte die Hand aus.
Sie schreckte zurück, als wäre sie aus Feuer. Auf gewisse Weise war sie das auch.
„Ich bin kein Bettschatz, Mylord.“
„Heißt das, dass du noch Jungfrau bist?“
„Natürlich bin ich das“, entgegnete sie. „Ich bin vielleicht eine Dienerin, aber ich habe meine Herkunft nicht vergessen. Ich werde nicht Eurem Vergnügen dienen.“
„Noch nicht einmal deinem eigenen?“
Sie erschauerte. Nein, schalt sie sich, ich werde nicht auf die süßen Worte eines erfahrenen Verführers hören. „Ihr seid zu keck, Mylord. Und auch ein wenig eingebildet.“ Die harschen Worte trafen ihn – sie sah es an der Art, wie er zusammenzuckte.
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Es wirkte nun härter. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Du hast den Eindruck gemacht, als wüsstest du durchaus, wie man den unangenehmen Pflichten aus dem Weg gehen kann.“
Zuerst glaubte sie, er meinte die Pflichten im Bett. Er musste ihre Verwirrung bemerkt haben, denn er erklärte: „Ich habe dich den ganzen Abend schon gesucht, seit Beginn des Abendessens.“
Panik stieg in Olivia auf und ließ ihr Herz rasen. Zu lange war sie in der Hütte geblieben. Doch Stephen war so entzückend gewesen, dass es ihr schwergefallen war, sich von ihm loszureißen …
„Ich kann nicht glauben, dass du die ganze Zeit hier draußen …“, er hielt inne und ließ den Blick über den Obstgarten schweifen, „ein- und ausgeatmet hast.“
Was wusste er?
„Ich bin kein Narr, Olivia.“ Er hob ihre Hände hoch und drehte sie um. Im Mondlicht sahen sie blass aus. „Siehst du?“, sagte er und strich mit dem Finger darüber, sodass Olivia ein Kitzeln verspürte. „Keine Blasen, keine rauen Stellen. Das hier, Olivia, sind die Hände einer Dame.“
„Ich habe Euch erzählt …“
„Lügen, Olivia. Du erzähltest mit Lügen.“ Er ließ ihre Hände los.
Tränen brannten in ihren Augen. Tränen, weil sie sich Vorwürfe machte. Sie war von diesem Mann in Versuchung geführt worden, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sogar in ihr gebadet. Wenn sie nun auch noch seine Neugier geweckt hatte, war ihr Leben – wichtiger noch, Stephens Leben – jetzt vielleicht wegen ihrer Torheit in Gefahr.
Wieder erhob er das Wort. „Behalte deine Geheimnisse, Olivia. Sie interessieren mich nicht. Ich will dich. Solltest du deine Meinung ändern …“ Er stockte und betrachtete sie mit brennendem Blick. „Es würde mich wirklich freuen, noch einmal über ein Arrangement zu sprechen. Frohe Weihnachten.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln, mit dem er sonst zweifellos die Herzen seiner Verehrerinnen zum Schmelzen brachte, und verließ sie.
„Waes hale!“
Es war Weihnachten.
Die Menge drängte in den Saal, setzte sich an die Schragentische, die in jeder verfügbaren Ecke standen, und brach in Hochrufe aus, die laut genug waren, um die Deckenbalken erbeben zu lassen.
Ihr Burgherr hob seinen Becher mit dem Bier, das für ihre Weihnachtsfeier gebraut worden war. Würzbier und Sauermilch, die Getränke der Saison, waren sehr beliebt und wurden deshalb viel getrunken.
„Waes hale!“, rief Will und trank.
Gerade wurde der Krug mit dem Würzbier herumgereicht, als die Darsteller der Weihnachtsgeschichte durch die Saaltür traten. Thom, der Schuster, führte sie an und spielte seinen Dudelsack. Hinter ihm gingen Kostümierte. Sie waren als Heilige Drei Könige verkleidet und als ein Bauernpaar, das wohl Josef und Maria darstellen sollte, und als in raue Wolle gehüllte Schäfer mit Hunden. Wills Page, der junge Elbert, bildete die Nachhut. An einer langen Stange
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