Historical Weihnachten Band 04: Zeit der Hoffnung, Zeit der Liebe? / Mein Engel der Weihnacht / Ein Weihnachtsmärchen in London
Mein Leben musste wieder einen Sinn bekommen. Ich glaube, Stephen hätte nicht gewollt, dass seine Familie und ich aufhören zu leben.“
„Stephen war ein Glückspilz.“
„Ein Glückspilz?“
Er strich ihr mit der Hand sanft über die Wange. „Weil er zu dir heimkommen konnte. Kein Wunder, dass er jedes Mal darauf bestand, in den Ferien nach Hause zu fahren, statt mit mir den Kontinent unsicher zu machen. Damals hatte ich es nie verstanden.“
Als er näher kam, hob sie das Gesicht und schloss die Augen. Doch statt sie auf den Mund zu küssen, riss Rafe sich im letzten Moment zusammen und berührte nur leicht ihre Stirn. Claire öffnete offensichtlich erstaunt die Augen.
Röte stieg ihm in die Wangen, und er wandte sich schuldbewusst ab. Es schien plötzlich so falsch zu sein, Stephens Braut Avancen zu machen, besonders da sie gerade eben zugegeben hatte, Stephen noch immer zu lieben. Hin und her gerissen zwischen seinem Ehrgefühl und dem tiefen Bedürfnis, sie an sich zu reißen – immerhin küsste sie ihn nicht so, als würde sie noch immer nach seinem Cousin schmachten –, brachte Rafe hastig einen sicheren Abstand zwischen sich und Claire.
Er war entschlossen, das zu finden, weswegen er gekommen war, und ganz schnell wieder von hier zu verschwinden.
„Da sind sie ja.“ Erleichtert konzentrierte er sich darauf, einige Kisten und zwei alte Kutschlampen von der messingbeschlagenen Truhe zu heben. Dann hockte er sich hin, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf.
Der Geruch nach Zedernholz und alten Erinnerungen entströmte der Truhe. Darin befanden sich mit einem Band zusammengehaltene Briefe, ein alter Herrenmantel, das Taufkleid eines Kindes, ein seidener Zylinderhut, ein trockenes Blumensträußchen – alles ein bittersüßer Widerhall aus einem längst vergangenen Leben.
Rafe kniete jetzt neben der Truhe. Er erinnerte sich an das tragisch kurze Leben seiner Eltern und die spärlichen Andenken, die sie ihm hinterlassen hatten. Ihnen war kaum Zeit geblieben, sich ein Haus einzurichten und eine Familie zu gründen, als sein Vater, ein Arzt, sich während einer Typhusepidemie ansteckte und starb. Unter den Kleidungsstücken entdeckte Rafe alte Fotografien eines frisch verheirateten Paars und eines Kindes von zwei oder drei Jahren, das lange lockige Haare, einen Kinderkittel und eine finstere Miene trug.
„Wer ist das?“, fragte Claire leise, die ihm über die Schulter sah.
„Das bin ich.“ Selbst ihm kam seine Stimme seltsam heiser vor. Er legte die Fotos beiseite und fuhr fort, nach einer flachen Mahagonischatulle zu suchen.
„Du sahst entzückend aus“, sagte Claire gefühlvoll.
„Ich sah aus wie ein kleines Mädchen“, meinte er rau.
„Alle sehen in dem Alter wie ein kleines Mädchen aus. Wichtig ist, dass du jetzt nicht mehr wie eins aussiehst.“
Der verführerische Humor in ihrer Stimme ließ ihn aufblicken. Jetzt kniete Claire ebenfalls neben der Truhe und schaute ihn eindringlich an. Hastig wandte Rafe sich ab, aber das Flehen in ihrem Blick ließ ihn nicht los. Er wusste, dass er sein ganzes Leben nicht zur Ruhe kommen würde, wenn er nicht aussprach, was in ihm vorging.
„Du liebst ihn immer noch“, brachte er mühsam hervor.
„Ah“, sagte sie, als hätte sie gerade etwas Wichtiges begriffen. „Natürlich liebe ich ihn. Liebst du ihn nicht?“
Rafe kam es so vor, als hätte man ihm unversehens einen Schlag in die Magengrube versetzt. Er? Natürlich liebte er Stephen. Und dann wurde ihm klar, dass Claire ihm mit diesen wenigen Worten jede seiner quälenden Fragen beantwortet hatte.
„Er war ein prägender Teil meines Lebens, so wie auch für dich“, fuhr sie fort. „Von ihm lernte ich zu geben und zu nehmen, die Stärken meiner Mitmenschen anzuerkennen und ihre Schwächen zu verstehen.“ Sie rückte ein Stück näher, sodass ihrer beider Knie sich fast berührten. „Unsere Liebe stirbt nicht ganz einfach, wenn die Menschen sterben. Und dass ich ihn liebe, bedeutet auch nicht, es könnte in meinem Herzen für niemanden sonst Platz geben.“ Sie atmete tief ein und schien sich zwingen zu müssen, fortzufahren: „Für dich.“
Mit leicht zitternden Händen umfasste er ihre Schultern, drückte Claire an sich und küsste sie heiß. Zum Glück waren beide auf den Knien und noch dazu auf einem staubigen Boden in einem ungeheizten Raum, sonst hätte der Kuss sich zu sehr viel mehr entwickeln können. Als sie sich voneinander trennten, sank Claire auf
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