Historical Weihnachtsband Band 4
sollte?
„Und bist du wirklich ein großer, starker Cricket-Werfer geworden?“, fragte sie.
„Aber natürlich. In meinen fünf Jahren in Neu-Delhi spielte ich drei Jahre lang bei den Cricket-Meisterschaften mit.“
Unvermittelt erschien ein Bild von ihm vor ihrem inneren Auge, das ihr den Atem nahm – Rafe mit zerzaustem Haar und nass geschwitztem Hemd, das an seinem breiten Rücken klebte. Sie blieb abrupt stehen, und auch Rafe hielt inne und sah sie fragend an.
„Immer wenn ich glaube, ich kenne dich“, sagte sie, „enthüllst du eine weitere Seite von dir, und ich muss wieder von vorne anfangen.“
„So kompliziert bin ich gar nicht.“ Lächelnd zog er sie mit sich und hielt sie so dicht an seiner Seite, dass jeder seiner Schritte ihre Röcke bewegte. Das Gefühl ihres Unterrocks an ihren Schenkeln ließ Claire genüsslich erschauern.
„Ich habe Prinzipien und versuche, mich in meinem Leben an sie zu halten“, fuhr er fort. „Ehrlichkeit, Fairness und Respekt für andere. Ganz einfach.“
Nein, vielmehr ganz außerordentlich, dachte Claire. Rafe war etwas Besonderes.
Ihre leichte Befangenheit, die daher rührte, dass die Mayhews sie beobachteten, verschwand in diesem Moment, und es beherrschte sie das seltsame Gefühl, sie gehöre an die Seite dieses Mannes. Noch nie, nicht einmal mit Stephen, hatte sie so empfunden.
Es mochte an den Kindern gelegen haben oder vielleicht auch an der Art, wie Claire Halliday ihm zuhörte, ihn neckte und ihm das Gefühl gab, geschätzt und anerkannt zu werden. Rafe musste auf einmal an seine eigene Familie denken, an seine Mutter und daran, wo die Mayhews die Familienandenken verstaut haben mochten, die er ihnen anvertraute, als er nach Übersee reiste.
Nach ihrem Spaziergang hatte er Cousine Hortense danach gefragt, und sie hatte einen Moment überlegt. „Auf dem Dachboden. Dort stehen deine Truhen.“ Sie lächelte. „Ich kann die Diener ... Ach nein, das kann ich eben nicht. Die Dienerschaft hat heute ja frei. Wenn du sie heute schon haben möchtest, Ralph, mein Lieber, fürchte ich, wirst du selbst hinaufsteigen müssen.“ Und dann schien sie eine Eingebung zu haben. „Vielleicht hilft Claire dir ja beim Suchen.“
Und so kam es dann, dass er mit Claire die Stufen zum vierten Stock hinauf nahm, dicht auf den Fersen von Cousine Tillie, die auf jedem Treppenabsatz eine Pause einlegen musste, um wieder zu Atem zu kommen.
Sie plapperte ängstlich vor sich hin, wie sehr die Kälte und der Staub ihr immer Atembeschwerden bereiteten, und entschuldigte sich schon im Voraus für den vernachlässigten Zustand des Dachbodens. Als sie endlich die Tür erreichten, die sich nur schwer öffnen ließ, hatte Tillie sich fast schon in einen asthmatischen Anfall gesteigert. Rafe bot ihr an, sie wieder nach unten zu begleiten, doch sie lehnte ab und versicherte ihm, dass sie allein zurechtkommen würde.
Sie machten Fortschritte. Periwinkle beobachtete, wie sie den Dachboden betraten, und dachte wieder an ihre Frist. In nur wenigen Tagen mussten Rafe und Claire bis über beide Ohren ineinander verliebt sein, sonst ...
Sonst könnte Rafe wieder in eine Kutsche steigen und wegfahren, weiß der Himmel wohin, ohne sich Claire jemals zu erklären. Sie waren einander so nahegekommen, und doch könnten sie im letzten Moment noch beschließen, „vernünftig“ zu sein oder sich über die Zukunft Sorgen zu machen, und sich in ihre Einsamkeit fügen.
Wenn nun aber die Tür ganz zufällig zufiel und der Schlüssel, natürlich auch ganz zufällig, sich im Schloss drehte? Dann wären sie gemeinsam auf dem Dachboden gefangen – aus den Augen, aus dem Sinn –, wer weiß, für wie lange. Wahrscheinlich würde man sie erst nach Stunden vermissen.
Einmischungen dieser Art wurden nicht gebilligt, ja galten als verpönt. Die Engel sollten sanft beeinflussen und auf keinen Fall selbst die Dinge ins Rollen bringen.
Periwinkle waren also gewisse Grenzen gesetzt. Dann fielen ihr jedoch die Erschöpfung und die Traurigkeit ein, die so oft Claires schönes Gesicht überschatteten, und der Schmerz, den ihr Schützling empfinden würde, sollte Rafe wirklich nach Weihnachten in eine Kutsche steigen und davonfahren. Wenn man an Claires Einsamkeit und Entbehrungen in den vergangen vier Jahren dachte, mochte dies tatsächlich die letzte Gelegenheit für sie sein, die wahre Liebe zu finden.
Zum Kuckuck mit den Grenzen!
Die schwere Tür ächzte in den Angeln, als Periwinkle sie zustieß. Es
Weitere Kostenlose Bücher