Historical Weihnachtsband Band 4
Kummer so manchen Mann überragte.
Sein Herz machte einen Satz, sekundenlang fiel ihm das Atmen schwer – wie jedes Mal, wenn er sie sah. Ihr Anblick genügte, um ihn in Verwirrung zu stürzen und alles vergessen zu lassen bis auf sie und seine unmögliche, hoffnungslose Liebe zu ihr.
Monate waren vergangen, seit er ihr das letzte Mal begegnete, doch es wunderte ihn nicht, dass diese Trennung nicht vermocht hatte, seine Gefühle zu verändern oder sein Verlangen nach ihr abzumildern. Früher hatte er Jahre bei der Royal Navy verbracht, und auch damals war Addie ihm nie lange aus dem Sinn gegangen. Dabei hatte er nichts unversucht gelassen, um sie nicht mehr zu lieben, keine Sehnsucht mehr nach ihr zu verspüren. Doch es hatte nichts genützt. Sein ganzes Leben lang hatte er sie geliebt, und seit jenem Sommertag vor zwölf Jahren, als sie im Garten von Kendall Manor einen ersten zarten Kuss getauscht hatten, war er bis über beide Ohren in sie verliebt.
Trotz des Schwurs am Sterbebett seiner Mutter, trotz der Erwartungen, die alle an ihn stellten, und des Pflichtgefühls, das ihm seit seiner Jugend eingetrichtert worden war, hätte er alles ohne zu zögern beiseitegefegt, um die Frau, die er liebte, für sich zu fordern – nur eins konnte er nicht übersehen.
Evan liebte Addie, und er selbst liebte Evan und könnte nie etwas tun, das seinen jüngeren Bruder verletzen würde. Dennoch kämpfte Sebastian jeden Tag gegen die Versuchung an, ihm Addies Liebe zu stehlen. Und jeden Tag stand er Todesängste aus, er könnte den Kampf doch noch verlieren. Obwohl er wusste, dass Addie Evans Liebe erwiderte. Daran konnte er nichts ändern.
Ihm blieb nur eins, ihr so oft wie möglich aus dem Weg zu gehen. Meistens gelang es ihm auch, bei der Weihnachtsfeier allerdings konnte er sie nicht ignorieren.
Und so stand er jetzt wie angewurzelt da, mit wild klopfendem Herzen und flachem Atem, den Blick sehnsüchtig auf Addie gerichtet. Lieber Gott, wie wunderschön sie doch war! Allgemein hielt man Grace für die Schönheit der Familie, und ohne Zweifel war sie hinreißend. Dennoch war es Addie mit ihren weniger vollkommenen Zügen, dem zauberhaften Lächeln und dem Anflug von Übermut in den hübschen Augen, die ihn schon beim ersten Mal, da sie sich als Kinder begegnet waren, in ihren Bann gezogen hatte. Er erinnerte sich an jenen Moment, als würde er in diesem Augenblick noch einmal passieren.
„Möchtest du mit mir und meinen Puppen spielen?“, hatte Addie gefragt und ihm eine Puppe mit bemaltem Porzellangesicht hingehalten.
„Bestimmt nicht“, hatte Sebastian mit all der Geringschätzung eines Fünfjährigen erwidert. „Ich spiele nicht mit Puppen.“
Addie hatte ihn nur ruhig mit ihren großen braunen Augen angesehen und ihre Puppe hingelegt. Dann hatte sie gelächelt, und es war ihm vorgekommen, als wäre die Sonne durch eine Wolkendecke gebrochen und hätte sein Herz erwärmt. „Dann lass uns in den Garten laufen und auf einen Baum klettern!“, hatte sie gerufen, seine Hand gepackt und ihn in ihrer Begeisterung fast zum Stolpern gebracht. Sebastian war eine solche Freimütigkeit nicht gewohnt gewesen, war Addie aber gefolgt, sofort zutiefst fasziniert von ihr. Und war zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Baum geklettert.
Erst neun Jahre später, mit vierzehn, hatte seine Liebe für sie sich in etwas anderes, sehr viel Tieferes verwandelt. Er wurde sich Addies Gegenwart fast schmerzhaft bewusst. Tiefe Sehnsucht erfüllte ihn, sie zu berühren, ihr Lächeln zu sehen, ihr Lachen zu hören und sich jede nur vorstellbare Ausrede einfallen zu lassen, um bei ihr sein zu können. Er konnte kaum an etwas anderes denken als daran, sie zu küssen. In jenem Sommer am letzten gemeinsamen Tag mit ihr, bevor er die ländliche Idylle Buntingfords verlassen musste, um nach Eton zurückzukehren, hatte er ihr einen Kuss gestohlen. Noch heute erinnerte er sich an die kleinste Einzelheit, an sein vor Seligkeit klopfendes Herz, an das überwältigende Gefühl, endlich gefunden zu haben, was ihm zu seinem Glück gefehlt hatte.
Den Rest der Schulzeit hatte er die Tage bis zu den Weihnachtsferien gezählt, weil er Addie dann endlich wiedersehen würde. Immer wieder waren ihm dieselben Fragen durch den Kopf gegangen. Fehlte er ihr? Dachte sie auch nur halb so oft an ihn wie er an sie? Bedeutete er ihr ebenso viel wie sie ihm? Er hatte ein Geschenk für sie gekauft, das sie an jenen letzten Sommertag erinnern sollte, und konnte es
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