Historical Weihnachtsband Band 4
schrecklichen fremden Ort, umgeben von Heiden.“ Tante Eloise schürzte pikiert die Lippen. „Unser lieber Ralph verdient ein anständiges englisches Weihnachtsfest.“
Und so stürzte die Familie sich allgemein in die Aufgabe, das gefühlvollste
„englische“ Weihnachtsfest vorzubereiten, das man sich nur vorstellen konnte. Die Küchenmägde machten sich daran, Weihnachts-Pasteten, Zuckergebäck und Plumpudding zuzubereiten, die Hausmädchen wurden angewiesen, Stephens altes Zimmer herzurichten. Onkel Abner scheuchte Cousin Halbert aus seiner Werkstatt, damit auch er mit Hand anlegte, und schon bald waren sie dabei, Kisten und Kartons zu öffnen, aus denen sie den Weihnachtsschmuck, feines Service und weihnachtliche Tischdecken hervorholten.
Das Putzen, Polieren und Schmücken des Hauses schien kein Ende zu nehmen. Die grimmigen schwarzen Sofaschoner und Tischbeinhüllen wurden entfernt und durch fröhlichere weiße ersetzt. Schließlich wurde im Salon Platz geschaffen für die Krippe und den Weihnachtsbaum – wenn auch jeder Beteiligte anderer Meinung darüber war, wo man ihn aufstellen und wie man ihn schmücken sollte. Gegen Mitternacht schien der gesamte erste Stock aus unendlich vielen Puzzlestücken zu bestehen, die nur darauf warteten, endlich zusammengefügt zu werden.
Während der ganzen Zeit folgte erneut eine endlose Aufzählung von Cousin Ralphs Tugenden. Ganz eindeutig für meine Ohren gedacht, überlegte Claire resigniert.
Ebenso wenig entging ihr, dass „unser lieber Ralph“ jetzt mit derselben Verehrung und Zuneigung ausgesprochen wurde wie „unser lieber Stephen“. Doch als sie sich schließlich an diesem Abend die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufschleppte, war sie so erschöpft, dass es sie nicht mehr kümmerte.
Sie hätte schwören können, jemanden auf dem Treppenabsatz ihren Namen flüstern zu hören. Allerdings war niemand da, als sie sich umschaute. Der Staub von den Kisten musste die Treppe hinaufgestoben sein, denn in diesem Moment bekam Claire einen Niesanfall und eilte in ihr Zimmer, um dem Staub zu entkommen.
Später lag sie behaglich in ihrem Bett und glaubte wieder, ein Flüstern zu hören –
irgendetwas über einen Mistelzweig. Sie musste wohl träumen.
Periwinkle saß auf dem Bett neben Claire und wartete auf jenen magischen Moment, da ihr Schützling ins Land der Träume eintauchte. Sie hatte bereits oft versucht, in Claires Erinnerungen nach jemandem zu suchen, der für die „wahre Liebe“ infrage käme, und war sehr enttäuscht gewesen von Claires mangelndem Interesse an Männern. Wenn es nach ihr ginge, würde sie am liebsten von Schiffen und Karawanen und Gewürzbasaren träumen – kein einziger gut aussehender Seekapitän oder romantischer Scheich weit und breit.
Stunden später saß Periwinkle auf dem Boden, den Rücken gegen einen Bettpfosten gelehnt, völlig erschöpft und entmutigt. Sie hatte der träumenden Claire leise Stephens Namen zugehaucht und sie an seine süßen Liebkosungen erinnert, alles in der letzten verzweifelten Hoffnung, das Glück vergangener Tage könnte in Claire wieder etwas Verlangen wecken. Doch alles, was Claire wahrzunehmen schien, war eine schwache, undeutliche Gestalt, die die ganze Zeit über weit entfernt blieb.
Selbst die Küsse, an die Claire sich erinnerte, wiesen keinen Hauch von Leidenschaft oder Gefühlstiefe auf. Das arme Mädchen war in einem jämmerlicheren Zustand, als Periwinkle bewusst gewesen war. Selbst in ihren Träumen schien die Quelle ihres Verlangens vollkommen versiegt!
In ihrer Verzweiflung suchte Periwinkle nach Erinnerungen an diesen „Ralph“, der zu Besuch kommen sollte. Auch hier konnte Claire sich nur an ein, zwei Gelegenheiten erinnern, bei denen sie allerdings noch sehr jung gewesen war. Die Blicke, die sie auf ihn hatte werfen können, waren so beiläufig gewesen, dass sie nicht einmal sein Gesicht heraufbeschwören konnte. Er hatte Oxford lange vor Stephen verlassen und war danach direkt nach Indien abgereist.
Periwinkle seufzte. Wie gut konnten die Chancen schon stehen, dass er hochgewachsen, dunkel und anziehend genug war, um dieses erstarrte Herz wieder zum Leben zu erwecken? Ralph. Was für ein Name! Gewiss keiner, der die Fantasie einer jungen Frau auf der Suche nach der wahren Liebe anregen konnte. Perwinkle seufzte wieder.
Die Gegend war in tiefe Dunkelheit getaucht, und es regnete in Strömen. Der Zug, völlig überfüllt mit müden Reisenden, musste abrupt vierzig Meilen von London
Weitere Kostenlose Bücher