Hitzeflimmern
über die Gefahr, zwischen die Fronten zu gelangen. Karl hatte nur genickt. Er durchsuchte seine Taschen nach Schmerztabletten, konnte aber keine finden. Sie waren in seiner Jacke gewesen, mit der er den ausweglosen Versuch unternommen hatte, das Feuer zu löschen.
Er stöhnte. Seine Brust schmerzte höllisch. Er hatte die verletzte Lunge einer Feuersbrunst ausgesetzt. Hätte das die Ärztin gewusst, hätte sie ihm wohl eine geklebt.
„Ein Königreich für ein Ponstan“, murmel te Karl.
Der Bär war zufrieden. Die Polizisten hatten in der ausgebrannten Fertigungshalle von CAi AG eine Leiche und die Schlüssel von Karl Graf gefunden. Der würde ihnen nicht mehr im Weg stehen. Auf Leute wie Anton war kein Verlass. Solche Dinge mussten auf die einfache, bewährte Art gelöst werden. Etwas Brandbeschleuniger und ein Vorhängeschloss beseitigten ein paar ölgetränkte Zeugen. Dass zuvor die Anlage hatte sabotiert werden müssen, war eine grössere Schwierigkeit gewesen. Ein diskreter Einbruch, selbst in ein altes Lagerhaus, war eine aufwändige Sache. Dabei war jedoch ein Feuerlöscher entdeckt worden, den sie hatten unbrauchbar machen können. So hatte Anton nur noch dafür sorgen müssen, dass Karl Graf in der Fertigungshalle war.
Der Bär informierte Bohdan Wisnieski. Der zeigte sich sehr zufrieden und stellte keine weiteren Fragen. Nun würde MetalO weiter und weiter zu einer herrschenden Marktstellung wachsen können.
Anton, das war beschlossene S ache, würde nicht mehr zum Einsatz kommen. Man hatte ihm eine Gelegenheit gegeben und er hatte verspielt. Nun war auch seine Stellung bei einem aufstrebenden Unternehmen zu nichts mehr Nutze.
Ein blauer VW hielt an der Strasse und Fayna stieg aus. Sie hatte Karl an der schmutzigen Mauer des Lagerhauses entdeckt, nachdem sie einige Male um die Strassenkreuzung gekurvt war.
„Da bist du!“ rief sie.
Karl sah auf. Er war tödlich erschöpft und sein Atem ging rasselnd. Seine Kehle war trocken und er wollte sich nichts als hinlegen.
Fayna stand vor ihm und reichte ihm die Hand.
„Wie siehst du denn aus!“, sagte sie und versuchte ihn hoch zu ziehen. Sie trug Jeans und ihr weisses Oberteil liess die Haut um ihren Nabel erahnen. Mit dem offenen Haar und den hochhakigen Stiefeln sah sie aus wie ein junges Mädchen und auch das runde Näschen erschien ihm heute so kindlich.
Karl liess ihre Hand los und stand ohne ihre Hilfe auf.
„Nicht so schlecht wie ich mich fühle“, versicherte er.
„Ich weiss nicht, du siehst schon schlimm aus“, meinte sie zweifelnd und bot ihm den Beifahrersitz.
Es war ein wohlgepflegter Wagen von gut zwanzig Jahren. Vielleicht war das Auto älter als seine Fahrerin, überlegte Karl, während sie ihn über die Brücke nach dem Westufer fuhr. Die hellen Lichter liessen die klotzartigen Sowjetbauten verschwinden und nur die goldglänzenden Türme der Kirchen hoben sich hervor. Die schwärzlichen Bäume zogen an seinem Blickfeld vorbei, während düstere Musik erschallte. Es roch dezent nach Lufterfrischer und plötzlich erfasste Karl ein Gefühl von Frieden. Es war, als blicke er hier in eine ganze Welt. Das war Fayna. Das war wirklich sie. Nicht seine erotische Vorstellung von ihr, sein Bild einer unerreichbaren Sirene. Das war Fayna, die ein überaltertes, aber duftendes Auto fuhr und kurze Sweatshirts trug, wenn sie frei hatte.
Wie um dem die Krone aufzusetzen, sagte sie: „Ich bringe dich zu meinen Eltern.“
„ Zu deinen Eltern?“ fragte Karl.
Das war zugegebenermassen ein bisschen viel von ihrer Welt.
„Ich wohne dort“, erklärte sie. „Sei so nett und sag ihnen nicht, wie wir uns kennengelernt haben. Ich glaube nicht, dass sie dir dann Asyl anbieten.“
„Mhm“, murmelte Karl. Das klang eher nach einem schmalen Feldbett als nach dem langersehnten Schlaf an ihrem Busen.
Die Orliks lebten in einem respektablen Hochhaus der Vorstadt. Die vierköpfige Familie teilte sich den Luxus dreier Zimmer, denn Fayna schlief im Arbeitszimmer des Vaters und ihr Bruder richtete sich allabendlich im Wohnzimmer eine Schlafstatt.
Als Fayna mit Karl eintrat, hing ein Geruch nach Fleisch und Rüben in der Luft und Frau Orlik trat aus der Küche.
„Guten Abend Herr Graf, ich bin hoch erfreut, Sie bei uns willkommen zu heissen“, sagte sie in gefeiltem Ukrainisch. Es kam Karl vor, als sei er zum Tee geladen.
„Guten Abend“, erwidert er.
Frau Orlik war eine Dame von gesetztem Auftreten. Sie war sorgfältig gekleidet und
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