Hochzeit des Lichts (German Edition)
weiß, wie ungerechterweise ich dazu kam). Es genügt zum Beispiel, die ehrenvolle Einladung zum Nachtessen eines Zeitungsdirektors abzulehnen, den man nicht schätzt. Man kann sich den einfachen Anstand nicht mehr frei von irgendwelchen hintergründigen Absichten vorstellen. Niemandem wird es übrigens einfallen, dass man diese Einladung ausschlagen könnte, weil man diesen Direktor wirklich nicht schätzt, oder auch einfach, weil man nichts so sehr befürchtet, als sich zu langweilen – und was gibt es Langweiligeres als ein echtes pariserisches Nachtessen?
Folglich muss man sich fügen. Doch kann man gelegentlich eine Richtigstellung versuchen und beteuern, dass man nicht ausschließlich das Absurde malt und dass niemand an eine trostlose Literatur glauben kann. Natürlich ist es immer möglich, einen Essay über die Kenntnis des Absurden zu schreiben. Doch kann man schließlich auch über die Blutschande schreiben, ohne sich deshalb zuvor auf seine unglückliche Schwester zu stürzen, und mir ist nicht bekannt, dass Sophokles seinen Vater ermordet und seine Mutter entehrt habe. Die Vorstellung, dass jeder Schriftsteller zwangsläufig über sich selber schreibe und sich in seinen Büchern abbilde, ist eine der Kindereien, die uns die Romantik vererbt hat. Es ist im Gegenteil gar nicht ausgeschlossen, dass sich ein Künstler in erster Linie für die andern interessiert oder für seine Epoche oder für Familienmythen. Und wenn es auch vorkommt, dass er sich in Szene setzt, dann nur ganz ausnahmsweise so, wie er wirklich ist. Die Werke eines Menschen spiegeln oft die Geschichte seiner Sehnsüchte oder seiner Versuchungen wider, doch fast nie seine eigene Geschichte, vor allem dann nicht, wenn sie autobiografisch zu sein behaupten. Kein Mensch hat es gewagt, sich so darzustellen, wie er wirklich ist.
Soweit dies möglich ist, wünsche ich im Gegenteil ein objektiver Schriftsteller zu sein. Ich nenne einen Autor objektiv, der sich bestimmte Themen vornimmt, ohne sich dabei als Objekt darzustellen. Doch die heutige Manie, den Schriftsteller mit seinem Thema zu verwechseln, würde eine solche relative Freiheit vom Autor kaum annehmen. So wird man zum Propheten des Absurden. Und doch, was tat ich anderes, als über eine Idee nachzudenken, die ich auf den Straßen meiner Zeit fand? Dass ich diese Idee genährt habe – und ein Teil meiner selbst nährt sie weiter – zusammen mit meiner Generation, braucht nicht gesagt zu werden. Ich habe lediglich genügend Distanz von dieser Idee genommen, um über ihre Folgerichtigkeit zu sprechen und mir mein Urteil zu bilden. Alles, was ich seither geschrieben habe, beweist es zur Genüge. Aber es ist bequemer, eine Formel auszuwerten als eine Nuance. Man hat die Formel gewählt: Ich bleibe absurder denn je zuvor.
Warum soll ich noch betonen, dass in der Erfahrung, die mich interessierte und über die ich geschrieben habe, das Absurde nur als Ausgangsposition betrachtet werden soll, sogar wenn die Erinnerung daran und die Erregung den späteren Vorgang begleiten. Wenn man alle Proportionen sorgfältig beibehält, so genügt der kartesische Zweifel, der methodisch ist, ebenso wenig, um aus Descartes einen Skeptiker zu machen. Wie soll man sich einzig auf die Idee beschränken, dass nichts einen Sinn habe und man über alles verzweifeln müsse. Ohne den Dingen ganz auf den Grund zu gehen, muss man doch wenigstens anerkennen, dass es, so wenig wie es einen absoluten Materialismus gibt (denn um dieses Wort zu formen, braucht es schon mehr als bloß Materie), auch keinen totalen Nihilismus geben kann. Sobald man behauptet, alles sei ohne Sinn, sagt man schon etwas aus, das einen Sinn hat. Der Welt jegliche Bedeutung absprechen ist geradeso, als würde man jegliches Werturteil leugnen. Doch leben und sich ernähren beispielsweise ist an sich schon ein Werturteil. Man entschließt sich weiterzuleben, sobald man sich nicht verhungern lässt, also misst man dem Leben wenigstens einen relativen Wert bei. Was bedeutet endlich eine verzweifelte Literatur? Sogar das Schweigen ist sinnvoll, wenn die Augen sprechen. Die wahre Verzweiflung ist Agonie, Grab oder Untergang. Sobald er spricht, nachdenkt und vor allem schreibt, reicht unser Bruder uns die Hand, der Baum ist gerechtfertigt, die Liebe entsteht. Verzweifelnde Literatur ist ein Widerspruch in sich selbst.
Wohlverstanden, ein gewisser Optimismus ist nicht meine Sache. Ich bin wie die Männer meines Alters unter den Trommelwirbeln des
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