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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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erwecken will, was man mit zwanzig so geliebt und genossen hat. Doch ich war gewarnt. Schon ein erstes Mal war ich nach Tipasa zurückgekehrt, kurz nach den Kriegsjahren, die für mich das Ende meiner Jugend bedeuteten. Vielleicht hoffte ich, eine unvergessene Freiheit wiederzufinden. Dort habe ich vor zwanzig Jahren ganze Vormittage verbracht, ich irrte durch die Ruinen, atmete den Duft des Absinths, wärmte mich an den Steinen, entdeckte schnell entblätterte Rosen, die den Frühling überdauerten. Erst am Mittag, in der Stunde, wo selbst die Grillen erschöpft schweigen, floh ich vor den gierigen Flammen eines verzehrenden Lichtes. Des Nachts schlief ich manchmal mit offenen Augen unter einem von Sternen überströmten Himmel. Damals lebte ich. Fünfzehn Jahre später fand ich meine Ruinen wieder, wenige Schritte von den ersten Wellen entfernt, folgte den Straßen der vergessenen Stadt, durch Felder mit bitteren Bäumen und liebkoste auf der Anhöhe über der Bucht kornfarbene Säulen. Doch die Ruinen waren jetzt mit Stacheldraht umzäunt, und man durfte sie nur durch erlaubte Eingänge betreten. Es war auch verboten, aus moralischen Gründen, wie behauptet wurde, dort in der Nacht zu spazieren; tagsüber traf man einen vereidigten Wächter. Wie aus Zufall regnete es an jenem Morgen über den Ruinen.
    Ich ging verwirrt durch dieses einsame und nasse Gelände und versuchte, wenigstens jene Kraft wiederzufinden, die mir bisher treu geblieben war und die mir hilft, das Unabänderliche hinzunehmen. Ich konnte die Zeit nicht rückgängig machen und der Welt jenes Antlitz wiedergeben, das ich geliebt hatte und das eines Tages, schon vor Langem, verschwunden war. Am 2 .September 1939 war ich nicht, wie ich sollte, nach Griechenland aufgebrochen. Der Krieg hingegen war bis zu uns gedrungen und hatte dann auch Griechenland überflutet. Diese Distanz, diese Jahre, welche die Ruinen vom Stacheldraht trennten, ich fand sie an jenem Tage wieder in mir, bei den Sarkophagen, die voll dunklen Wassers waren, und unter den durchnässten Tamarisken. Aufgewachsen im Anblick der Schönheit, die mein einziger Reichtum war, hatte ich in der Fülle begonnen. Dann war der Stacheldraht gekommen, das heißt die Tyrannei, der Krieg, die Polizei, die Zeit der Aufstände. Man musste sich den Gesetzen der Nacht unterordnen; die Schönheit des Tages blieb nur Erinnerung. Und in diesem schlammigen Tipasa verwischte sich selbst die Erinnerung. Es ging wirklich um Schönheit, Fülle und Jugend! Beim Schein der Feuersbrünste hatte die Welt plötzlich ihre alten und neuen Furchen und Wunden gezeigt. Mit einem Schlag war sie alt geworden und wir mit ihr. Ich wusste wohl, dass jene Begeisterung, die ich hier suchte, nur jenen emporhebt, der nicht weiß, dass er sich aufschwingen wird. Es gibt keine Liebe ohne eine Spur von Unschuld. Wo blieb die Unschuld? Die Reiche zerfielen, die Nationen und die Menschen zerbissen sich die Kehle; unser Mund war besudelt. Erst unschuldig, ohne es zu wissen, waren wir schuldig geworden, ohne es zu wollen: Das Geheimnis wuchs mit unserm Wissen. Deshalb beschäftigten wir uns, o Hohn!, mit Moral. Angesteckt träumte ich von Tugend! Zur Zeit der Unschuld wusste ich nichts von Moral. Jetzt wusste ich darum und war unfähig, sie zu leben. Auf dem Vorgebirge, das ich einst geliebt, zwischen den nassen Säulen des zerstörten Tempels, schien es mir, als folgte ich jemandem, dessen Schritte ich noch auf den Steinplatten und Mosaiken hörte, den ich aber nie mehr erreichen würde. Dann ging ich nach Paris und blieb einige Jahre, ohne heimzukehren.
    Doch spürte ich dunkel in all diesen Jahren, wie mir etwas fehlte. Wer je das Glück hatte, einmal heftig zu lieben, wird sein Leben verbringen auf der Suche nach dieser Glut und diesem Licht. Der Verzicht auf die Schönheit und das sinnliche Glück, das damit verbunden ist, die ausschließliche Hingabe an das Unglück erfordern eine Größe, die mir mangelt. Nichts bleibt wahr, wenn alles Übrige ausgeschlossen wird. Bleibt die Schönheit isoliert, wird sie zuletzt verzerrt, einsame Gerechtigkeit wird bedrückend. Wer dem einen dient und das andere ausschließt, dient niemandem, auch sich selber nicht, und hilft schließlich doppelter Ungerechtigkeit. Wenn man sich versteift, wird eines Tages nichts mehr zur Bewunderung hinreißen, alles ist bekannt, das Leben vergeht in Wiederholungen. Es ist die Zeit des Exils, des dürren Lebens, der toten Seelen. Um wieder aufzuleben, bedarf

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