Hochzeit des Lichts (German Edition)
Ersten Weltkrieges aufgewachsen, und unsre Geschichte war seither nichts als Mord, Ungerechtigkeit und Gewalt. Doch der wahre Pessimismus, dem man begegnet, bejaht und überbietet so viel Grausamkeiten und Niederträchtigkeiten. Ich habe meinerseits nie aufgehört, diese Schande zu bekämpfen, und ich hasse einzig die Grausamen. Im schwärzesten Nihilismus unserer Zeit suchte ich nur Gründe, ihn zu überwinden. Übrigens nicht aus Tugend noch aus einer seltenen Seelengröße heraus, sondern aus instinktiver Treue zu jenem Licht, in dem ich geboren wurde und in welchem seit Jahrtausenden die Menschen gelernt haben, das Leben zu bejahen bis in seine Leiden hinein. Äschylus ist oft trostlos; und doch strahlt er aus und erwärmt. Im Zentrum seines Universums steht nicht die karge Sinnlosigkeit, sondern das Rätsel, das heißt ein Sinn, der schwer zu verstehen ist, weil er blendet. Und ebenso kann für die unwürdigen, doch beharrlich treuen Söhne Griechenlands, die in diesem zerfleischten Jahrhundert noch überleben, der Brand unserer Geschichte unerträglich sein; doch sie halten schließlich durch, weil sie verstehen wollen. Im Herzen unseres Werkes, auch wenn es dunkel ist, strahlt eine unversiegbare Sonne, dieselbe, deren Schrei sich heute über Ebene und Hügel erhebt.
Danach mag das Wergfeuer brennen; was bedeutet’s, wie wir scheinen und was uns ungerechterweise zugesprochen wird? Was wir sind, was wir sein sollen, genügt, um unser Leben zu erfüllen und um unsern Einsatz zu rechtfertigen. Paris ist eine vortreffliche Höhle, wo die Menschen, die ihre bewegten Schatten auf den Wänden sehen, sich für die einzige Realität halten. Und so ist es auch mit dem seltsamen und flüchtigen Ruf, den diese Stadt verleiht. Fern von Paris haben wir gelernt, dass ein Licht hinter uns leuchtet, dass wir uns umdrehen und, alle Bindungen wegwerfend, ihm gerade ins Auge blicken müssen und dass es unsre Aufgabe ist, dieses Licht, durch das ganze Gewirr der Worte hindurch, zu benennen.
Jeder Künstler ist auf der Suche nach seiner Wahrheit. Ist er groß, wird ihn jedes seiner Werke näher bringen, oder er kreist zumindest näher jenem Zentrum, jener verborgenen Sonne, die eines Tages alles entzünden wird. Ist er mittelmäßig, wird ihn jedes Werk davon entfernen, das Zentrum ist dann überall, das Licht zerfällt. Doch in dieser hartnäckigen Suche können einzig jene dem Künstler beistehen, die ihn lieben, und auch jene, die liebend oder schöpferisch in ihrer Leidenschaft das Maß aller Leidenschaften finden und dann in der Lage sind, darüber zu urteilen.
Ja, all diese Worte … wo doch Lieben und in der Stille Schaffen Friede bedeuten könnte! Doch Geduld. Nur noch kurze Zeit, und die Sonne wird uns den Mund verschließen.
Heimkehr nach Tipasa
Du aber fuhrst fort von dem Haus des Vaters,
Rasenden Herzens durchquertest
du beide Gestadefelsen
Des Meeres; nun wohnst du weit
Auf fremdem Gebiet …
Euripides,
Medea
Seit fünf Tagen regnete es unaufhörlich über Algier, sogar das Meer wurde nass. Aus unerschöpflichem Himmel stürzten sich endlose Fluten auf den Golf, die vor lauter Dichte zähflüssig schienen. Grau und schlaff wie ein Riesenschwamm quoll das Meer in der formlosen Bucht auf. Die Oberfläche des Wassers schien unbeweglich unter dem starren Regen. Von Zeit zu Zeit nur trieb eine unmerklich breite Bewegung einen trüben Dunst über das Meer gegen den Hafen hin, unter einem Schleier von nassen Nebeln. Der Stadt selber mit ihren weißen triefenden Mauern entströmte ein anderer Dunst, der sich dem ersten entgegenwälzte. Wohin man sich auch wenden mochte, man schien Wasser einzuatmen, als trinke man die Luft.
Vor dem ertrunkenen Meer schritt ich hin und wartete in diesem dezemberlichen Algier, das doch für mich die Stadt der Sommer blieb. Ich war dem nächtlichen Europa entflohen und dem Winter auf den Gesichtern. Doch auch die Stadt des Sommers war leer von Lachen und zeigte mir nur gekrümmte und nass glänzende Rücken. Abends in den grell erleuchteten Cafés las ich mein Alter auf den Gesichtern, die ich wiedererkannte, doch nicht nennen konnte. Ich wusste nur, dass sie mit mir jung gewesen und es nun nicht mehr waren.
Ich verharrte jedoch, ohne zu wissen, was ich erwartete, es sei denn vielleicht die Stunde der Rückkehr nach Tipasa. Gewiss, es ist heller Wahnsinn, den man meistens büßen muss, wenn man an die Stätten der Jugend zurückkehrt und mit vierzig Jahren wieder zum Leben
Weitere Kostenlose Bücher