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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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oder Prag oder sogar Florenz gehen nicht leicht aus sich heraus und gefallen sich in dieser Zurückhaltung.
    Einige Städte aber, die das Glück haben, am Meer zu liegen – und unter ihnen Algier –, öffnen sich dem Himmel wie ein Mund oder eine Wunde. Was wir in Algier lieben, gehört allen: das Meer an jeder Straßenecke, die Lichtfülle, die Schönheit der Rasse. Doch dieses Hingegebensein ohne Scham birgt auch sein Geheimnis. In Paris kann einen die flügelschlagende Sehnsucht ins Weite verzehren. Hier aber hat der Mensch alles, was er begehrt, in Fülle und kann sich Rechenschaft ablegen von seinem Reichtum.
    Man muss sicherlich lange in Algier gelebt haben, ehe man begreift, wie sehr eine im Übermaß schenkende Natur den Menschen verarmen kann. Wer etwas lernen, sich erziehen, sich bessern will, ist hier verloren. Dies Land gibt keine Lehren. Es verspricht nichts und hält auch nicht mit Hoffnungen hin. Es begnügt sich zu geben, und zwar im Überfluss. Es ist ganz und gar für die Augen da, und sobald man es genießt, kennt man es auch. Seine Genüsse kennen kein Heilmittel, und seine Freuden keine Hoffnung. Es verlangt klare sehende Seelen, die keinen Trost brauchen. Es will, dass man sich zu seiner Klarheit wie zu einem Glauben bekennt. Seltsames Land, das dem Menschen, den es ernährt, beides zugleich gibt: Glanz und Elend! So ist es nicht weiter erstaunlich, dass die reiche Sinnlichkeit dieser Menschen mit dem äußersten Elend zusammentrifft. Jede Wahrheit hat ihre Bitterkeit. Ist es da verwunderlich, dass ich dieses Land nie mehr liebe, als wenn ich unter seinen ärmsten Menschen bin?
    Die jungen Männer können hier gleichermaßen ihre Jugend wie ihre Schönheit ausleben. Dann kommen der Abstieg und das Vergessenwerden. Sie haben aufs Fleisch gesetzt und wussten, dass sie verlieren müssen. Wer jung und gesund ist, findet in Algier überall eine Freistatt und feiert überall Triumphe: die Bucht, die Sonne, die roten und weißen Farbspiele der das Meer säumenden Terrassen, die Blumen und die Sportplätze, die jungen, frischen Mädchen – alles lädt ihn ein. Wer aber seine Jugend verloren hat, sucht vergebens, wo er bleiben soll und wo er seiner Schwermut entfliehen kann. Anderswo gibt es Plätze genug – Italiens Terrassen, Europas Klöster, die harmonischen Hügel der Provence –, wo der Mensch sich retten und schmerzlos von sich selber befreien kann. Hier aber verlangt alles die Einsamkeit und das Blut der jungen Menschen. Der sterbende Goethe rief nach »mehr Licht«. In Belcourt und Bab-el-Oued hocken die Alten hinten in den Cafés und hören zu, wie die glatt gescheitelten jungen Leute prahlen.
    Der Sommer in Algier weiht uns in all diese Dinge ein. In diesen Monaten ist die Stadt verlassen und leer; nur der Himmel und die Armen sind geblieben. Mit den Letzteren steigen wir hinab zum Hafen, zu seinem sonnenwarmen Wasser und seinen sonnenbraunen Frauenleibern. Abends kehren diese Armen ermattet vom Genuss dieser Reichtümer zurück zu ihrer Petroleumlampe auf dem wachstuchbedeckten Tisch – ihrem einzigen Besitz.
     
    In Algier sagt niemand »ein Bad nehmen«, sondern »sich ein Bad leisten«, se taper un bain. Man badet im Hafen, und man ruht sich aus auf den Bojen. Schwimmt man an einer Boje vorbei, auf der bereits ein hübsches Mädchen sitzt, so ruft man den Kameraden zu: »Eine Möwe, sag ich dir!« Das sind harmlose Vergnügungen. Und offenbar sind sie das Ideal dieser jungen Leute; denn die meisten von ihnen treiben es so den ganzen Winter, setzen sich jeden Nachmittag nackt in die Sonne und verzehren ihr bescheidenes Mahl. Keiner von ihnen hat die öden Traktate der Naturschwärmer gelesen – diese Protestanten des Fleisches (denn es gibt Systematiker des Leibes, die ebenso hoffnungslos borniert sind wie gewisse Systematiker des Geistes); aber sie fühlen sich wohl in der Sonne. Man kann die Wichtigkeit dieser Gewohnheit für unsere Epoche nicht hoch genug einschätzen. Zum ersten Mal nach zweitausend Jahren gibt es am Strand wieder nackte Leiber. Zwanzig Jahrhunderte lang haben die Menschen sich bemüht, der griechischen Unbefangenheit und Schamlosigkeit Sittsamkeit beizubringen und das nackte Fleisch unter allerhand Kleidern zu verstecken. Heute sind diese Zeiten vergessen; und die Jünglinge, die am Strand des Mittelmeeres um die Wette laufen, reichen den Athleten von Delos die Hand. Wer so mit seinem Leib unter Leibern lebt, lernt, dass der Leib seine eigenen Wünsche und

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