Hochzeit des Lichts (German Edition)
Vorstellung vom Tode ist abstoßend banal. Die Belustigungen dieses Volkes sind albern, wenn man von den Freuden der Sinne absieht. Seit undenklichen Zeiten geben sich die Leute über dreißig zufrieden mit Unterhaltungen wie Kino, Kegelspielen, Vereinsfeiern und Gemeindefestlichkeiten. Nichts Trübsinnigeres als ein Sonntag in Algier! Wie kann man von diesem geistlosen Volk erwarten, dass es sich die tiefe Trostlosigkeit seines Lebens durch Mythen verhüllt? Alles, was mit dem Tode zu tun hat, wird als lächerlich oder als peinlich empfunden. In diesem Volke ohne Religion und ohne Idole lebt man gesellig und stirbt allein. Ich kenne keinen widerlicheren Ort als den in einer der schönsten Landschaften der Welt gelegenen Kirchhof des Boulevard Bru. Zwischen lauter Denkmälern von schlechtestem Geschmack und lauter schwarzen Gestalten zeigt der Tod sein trostlosestes, sein wahres Gesicht. »Alles vergeht, nur die Erinnerung bleibt«, steht auf den herzförmigen Votivtafeln. Alle sind zufrieden mit dieser lächerlichen Ewigkeit, mit der die liebevollen Überlebenden uns so billig abspeisen wollen. Es sind die gleichen Phrasen, mit denen jede Verzweiflung sich tröstet. Man redet mit dem Toten in der zweiten Person: »Unser Gedenken verlässt Dich nicht« – eine üble Heuchelei, die das, was bestenfalls ein schwarzer Schleim ist, mit einem Körper und mit Gefühlen ausstattet. An einer anderen Stelle liest man unter einer betäubenden Fülle von Blumen und Marmortauben das kühne Gelöbnis: »Nie soll Dein Grab ohne Blumen sein.« Aber etwaige Zweifel schwinden schnell; denn über die Inschrift neigt sich ein Strauß vergoldeter Gipsblumen, die den Überlebenden viel Zeit ersparen (genau wie jene »Immortellen«, die ihren pompösen Namen der Dankbarkeit jener eiligen Leidtragenden verdanken, die auf die schon fahrende Straßenbahn springen). Da man mit der Zeit gehen muss, so ersetzt man bisweilen die klassische Lerche durch ein perlgesticktes Flugzeug, an dessen Steuer ein alberner und mit einem überflüssigen Flügelpaar ausstaffierter Engel sitzt.
Man darf trotzdem nicht übersehen, dass diese Bilder des Todes stets eine Beziehung zum Leben behalten. Der beliebteste Scherz der algerischen Totengräber, die mit leerem Wagen fahren, besteht darin, den jungen Mädchen auf der Straße zuzurufen: »Steig ein, mein Schatz!« Der symbolische Charakter dieser Aufforderung, so peinlich er sein mag, ist unverkennbar. Ebenso kann es lästerlich wirken, wenn jemand beim Lesen einer Todesanzeige das linke Auge zukneift mit den Worten: »Der Arme hat ausgerungen«; oder wie jene Dame aus Oran, die ihren Gatten nie geliebt hatte, auszurufen: »Gott hat ihn mir gegeben; Gott hat ihn mir wieder genommen.« Letzten Endes aber sehe ich nicht ein, was am Tode heilig sein soll; hingegen empfinde ich deutlich den Unterschied, der zwischen Angst und Respekt besteht. In diesem Lande, wo alles uns auffordert zu leben, bebt auch alles zurück vorm Sterben. Und dennoch trifft die Jugend von Belcourt sich mit Vorliebe an der Friedhofsmauer, um Küsse und Zärtlichkeiten auszutauschen.
Ich begreife sehr wohl, dass ein solches Volk nicht nach jedermanns Geschmack ist. Hier spielt, im Unterschied zu Italien, die Intelligenz keine Rolle. Diese Rasse ist gleichgültig gegen den Geist. Stattdessen verehrt und bewundert sie den Leib. Er ist die Quelle ihrer Kraft wie ihres naiven Zynismus [2] und ihrer jugendlichen Eitelkeit, die man ihr so streng verweist, wie man ihr überhaupt ihre »Mentalität«, will sagen, ihre Lebensauffassung wie ihre Lebensweise, zum Vorwurf macht. Und man muss zugeben, dass eine gewisse Lebensfülle nicht ohne Ungerechtigkeit bestehen kann. Indessen hat dies Volk ohne Vergangenheit und ohne Überlieferung dennoch seine eigne Poesie, die freilich hart und sinnlich ist und, genau wie sein Himmel, nichts weiß von Zärtlichkeit – die einzige Poesie, die mich wirklich tief erregen und packen kann. Das Gegenteil eines zivilisierten Volkes ist ein Schöpfervolk. Ich habe die verwegene Hoffnung, dass diese Barbaren, die sich am Strand des Meeres tummeln, eines Tages – vielleicht unbewusst – eine Kultur schaffen werden, in der endlich die Größe des Menschen ihren wahren Ausdruck findet. Dieses ganz und gar gegenwärtige Volk kennt keine Mythen und keinen Trost. Es hat sich ganz und gar dieser Erde anvertraut und ist daher wehrlos gegen den Tod. Leibliche Schönheit hat die Natur in reichem Maße an diese Menschen
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