Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück: Roman (German Edition)
nicht«, stimmte ich plötzlich kleinlaut zu.
Wer wusste schon, was in Omas Kopf vorgegangen war. Außerdem war es wirklich schon fast ein Jahr her, dass ich sie zum letzten Mal besucht hatte. Na prima! Jetzt hatte ich ein schlechtes Gewissen.
»Wie ging es ihr denn in der letzten Zeit?«
»So wie immer.«
»Das ist gut.« Wenigstens war sie nicht kränklich gewesen.
»Möchtest du sie noch einmal sehen?«
Ich erschrak über diese Frage. Wollte ich meine tote Oma Berta wirklich sehen?
»Ist sie schon im Leichenschauhaus?«
»Nein. Daheim.«
»Daheim? Wie meinst du das? Sie ist doch nicht … bei sich daheim?«, fragte ich ein wenig zu laut und meine Nackenhaare sträubten sich.
Fünfzehn Minuten später waren wir auf dem Hof angekommen. Das Bauernhaus, das Ende des neunzehnten Jahrhunderts von Johann Baptist Gruber erbaut worden war, stand auf einer kleinen Anhöhe. Es war vor einigen Jahren liebevoll generalrenoviert worden und hatte vier Schlafzimmer, zwei Bäder, ein Wohnzimmer, ein Büro, eine große Wohnstube und eine überdimensional große Küche mit Speisekammer. Hinter dem Haus neben der Scheune und dem ehemaligen Kuhstall war ein großer Obstgarten. Und einer dieser Bäume war derjenige, der meine Oma das Leben gekostet hatte. Oma war tatsächlich noch daheim.
»Denkst du wirklich, es ist eine gute Idee, wenn ich sie mir anschaue?«, fragte ich Max, wollte dabei aber nicht allzu ängstlich klingen. Hier in Niederbayern ging man mit dem Tod etwas natürlicher um als in der Großstadt. Trotzdem war es auch hier nicht in allzu vielen Familien üblich, die Toten daheim aufzubahren, um in Ruhe von ihnen Abschied zu nehmen.
Max nickte. »Ja! Ich glaube, das ist eine gute Idee. Schau sie dir noch einmal an.«
Es war das erste Mal, dass ich einen toten Menschen sehen würde, und ich hatte Angst, als ich vor dem Schlafzimmer stand. Doch bevor ich es mir anders überlegen konnte, öffnete Max die Tür und schob mich hinein. Er murmelte, dass er noch zu tun hatte, und verschwand.
In dem cremefarbenen Kostüm, das sie zuletzt auf ihrer goldenen Hochzeit getragen hatte und das immer noch wie angegossen passte, lag sie in ihrem mit weißem Leinen bezogenen Eichenbett. Um ihre Hände war ein Perlmuttrosenkranz geschlungen. Auf dem Nachttisch standen Blumen und ein silbernes Kreuz. Weiße Kerzen brannten und verströmten einen Duft, der mich an Weihnachten erinnerte.
Im Raum saßen Tante Luise, Maria, eine entfernte Verwandte von Berta, und zwei weitere ältere Frauen aus dem Dorf und beteten leise. Es war ein friedlicher Moment, und es gab nichts, das einem Angst machen musste.
Auf einem kleinen Teppich neben dem Bett lag Fanny, ein Mischling aus Schäferhund und Labrador. Ihr Kopf ruhte auf den ausgestreckten Vorderpfoten, und ihre braunen Augen blickten so traurig, dass ich mir sicher war, sie wusste, dass ihr geliebtes Frauchen tot war. Berta hatte Fanny vor fünf Jahren verletzt vor der Haustür gefunden und gesundgepflegt. Seither war der Hund ihr treu ergeben gewesen.
Tante Luise nickte mir aufmunternd zu, und ich trat langsam an das Bett heran. Fanny hob den Kopf und knurrte.
»Still, Fanny«, sagte meine Tante leise, aber bestimmt. Fanny gehorchte und legte den Kopf wieder auf die Pfoten. Ich ging noch näher ans Bett heran.
Die Gesichtszüge meiner Oma waren im Tod wie verwandelt. Sie wirkte entspannt, fast heiter. So hatte ich sie zu ihren Lebzeiten nie gesehen. Ich betrachtete sie, und allmählich übertrug sich der Frieden, den sie ausstrahlte, auch auf mich. Ich dachte an die Dinge, die ich ihr noch hatte sagen wollen. Eine Weile lang hielt ich stille Zwiesprache mir ihr und entschuldigte mich mehrmals, dass ich sie nicht öfter besucht hatte. Und auch für einige Streiche, die Max und ich ihr in unserer Kindheit gespielt hatten.
Dann setzte ich mich auf einen freien Stuhl neben meine Tante und begann, gemeinsam mit den Frauen den Rosenkranz zu beten. So lange, bis der Bestatter mit einem Eichensarg kam und Oma abholte.
Es war schon Nacht, als wir in der großen Bauernstube auf der Eckbank um den geschreinerten Holztisch saßen. Zehn Leute hätten hier locker Platz gefunden. Die Stube war österlich dekoriert, und unter dem Herrgottswinkel war ein mit bunten Bändern geschmückter Strauß aus Palmkätzchen und Buchsbaumzweigen, den Oma wenige Tage zuvor beim Palmsonntagsgottesdienst noch selbst hatte weihen lassen. Neben Max und Tante Luise saßen ihr Mann Alois und Pit am Tisch. Pit war
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