Höchstgebot
lästigen Kollegen, die tratschen oder bummeln. Es finden sich immer auch gute Leute unter ihnen. Und wenn es sein muss, nehme ich sogar einen Vorgesetzten in Kauf.«
»Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch«, bemerkte Elisabeth Roeder.
»Ich war zwei Jahre lang mit einem Deutschen zusammen«, erklärte Micky.
Sie schwiegen einen Moment lang.
Dann fragte Frau Roeder: »Hätten Sie Lust, heute Abend mit Herrn Delgado essen zu gehen?«
Als Micky sie ungläubig ansah, musste sie lächeln. »Er möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten«, erklärte sie. »Es ist überdeutlich, dass die neue Firma Roeder ein solides Sicherheitssystem aufbauen muss. Dabei könnten wir Sie gut gebrauchen. Ob befristet oder in Festanstellung, müssen Sie beide besprechen.«
»Wird er dann mein Chef?«
»Nein, ich«, erwiderte Elisabeth Roeder.
Micky fragte sich, ob sie sich Zeit zum Überlegen nehmen sollte. Bei Carsten hatte sie zu schnell geantwortet. Aber genau wie damals wusste sie auch jetzt, dass das Angebot zu verführerisch war, um es abzulehnen.
Sie warf Delgado einen Blick zu. »Ich werde heute Abend mit Michael über alles sprechen«, sagte sie.
»Dann werden Sie mich jetzt entschuldigen. Ich habe gleich einen Termin bei der Bank.« Sie reichte Micky die Hand, nickte Michael zu und manövrierte ihren Rollstuhl geschickt in das Gebäude hinein.
Ein paar Augenblicke lang blieben sie in der Stille stehen, die Frau Roeder zurückließ.
»Soll ich dich mal durch den Betrieb führen?«, fragte Michael schließlich.
32
Das letzte Weihnachtsfest, an dem Katja aufgeregt vor einer verschlossenen Tür gestanden und auf schöne Geschenke gehofft hatte, lag lange zurück. Und trotzdem und obwohl ja auch erst der zwanzigste Dezember war, erkannte sie das kribbelnde Gefühl sofort wieder.
Aber noch dauerte es. Die französischen Kollegen hatten einige Mühe damit, all die Schlösser zu knacken, mit denen die alte Garage in einem Hinterhof in Saint Cloud gesichert waren.
Neben ihr stand Pierre Hernot, der Commissaire der Pariser Polizeipräfektur, mit dem sie monatelang an diesem Fall gearbeitet hatte. Als das letzte Schloss überwunden war, traten die beiden fast feierlich einen Schritt vor. Gleich würde sich zeigen, ob sich der ganze Aufwand gelohnt hatte.
Die Polizisten zogen die schweren Holztüren auf und sahen dann gespannt in das Gesicht ihres Vorgesetzten. Katja und Hernot jedoch standen wie erstarrt da. Keiner von ihnen verzog eine Miene, nur ihr Atem stieg in kleinen weißen Wölkchen zum Schneehimmel empor. Verdutzt linsten die beiden Beamten nun selbst um die Tür herum in die Garage. Nach einer Weile sahen sie einander achselzuckend an.
Da endlich jauchzte Katja auf und fiel ihrem Kollegen um den Hals. Es war der reine, sprachlos machende Wahnsinn. Vor ihnen standen an die fünfhundert bronzene GiacomettiSkulpturen. Nach Art und Größe aufgestellt wie eine Armee. Im Hintergrund dutzende großer, stehender Frauen, davor über fünfzig schreitende Männer, dann eine Armada von Brustporträts und schließlich rechts und links davon Herden von Katzen- und Pferdeskulpturen. Das waren Objekte im Wert von achtzig, vielleicht mehr als einhundert Millionen Euro. Besser gesagt: im Marktwert. Denn eigentlich brauchte man für diese Fälschungen keinen Cent mehr zu zahlen als den Materialpreis.
Die beiden Polizisten spazierten durch die schmalen Gänge, die der Besitzer der Garage zwischen den einzelnen Abteilungen freigelassen hatte.
»Kaum zu glauben, wie mittelmäßig dieser Typ gearbeitet hat«, sagte Hernot.
»Um nicht zu sagen, grottenschlecht«, bestätigte Katja.
»Dafür waren die Herkunftsgeschichten umso perfekter. So klug ausgedachte und mit Stempeln und Aufklebern be legte Provenienzen findet man selten. Die Leute kaufen eben nur noch nach Katalog und nicht mehr mit den Augen.«
Der Satz hätte auch gut von Robert sein können, dachte Katja.
Sie verließen die Garage wieder, um den Kriminaltechnikern das Feld zu überlassen.
»Gratuliere, Mademoiselle Hellriegel, wir dürften gerade das weltweit drittgrößte Depot gefälschter Giacomettis ausgehoben haben. Und das verdanken wir vor allem Ihnen«, sagte Hernot feierlich.
»Es war einfach Glück, dass sich dieser Düsseldorfer Sammler an uns gewendet hat. Sonst hätten wir die Bande nicht so leicht erwischt«, sagte Katja bescheiden.
Aber sie strahlte. Kein Jahr zuvor hatte sie noch als Zuschauerin beinahe fiebrig verfolgt, wie die Kunstermittler des
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