Höchstgebot
es auf eine Staffelei. Die Leute reckten die Hälse.
Rechts vor dem Publikum saßen wie in einem zweireihigen Chorgestühl sechzehn Telefonisten, allesamt Kunstexperten des Hauses, die spezielle Kunden betreuten. Zwölf von ihnen hatten den Hörer am Ohr, als der Auktionator Lot sechzehn aufrief. Er schaute in seine Unterlagen und vermeldete als schriftliches Vorgebot für den Magritte 2,8 Millionen Euro.
Erwartungsvolle Stille legte sich über das Kirchenschiff. Doch nichts geschah.
Zehn Sekunden verstrichen, dann weitere zehn.
Der Auktionator wiederholte das Erstgebot. Das Publikum begann, unruhig zu werden. Robert amüsierte sich: Das übliche Pokerspiel, keiner wollte gleich die Karten auf den Tisch legen und sein Interesse offenbaren.
Dann, wie auf ein Signal hin, hoben sich die Arme der Vermittler am Telefon und trieben den Preis in kürzester Zeit auf 4,4 Millionen Euro. Angeregt von der Dynamik der schnellen Gebote sah der Auktionator seine Mitarbeiter erwartungsvoll an. Doch die schauten nur konzentriert in die Ferne oder auf den Tisch vor sich. Er ließ den Blick weiter über das Publikum und dann langsam wieder zurück zu den Telefonisten streifen. Der Rhythmus des Wettbewerbs geriet ins Stocken.
4,4 Millionen Euro. Das war gut, aber es konnte noch nicht das Ende sein. Der Schätzpreis hatte bei drei bis dreieinhalb Millionen Euro gelegen. Doch jedem hier war klar, dass er nur so niedrig angesetzt worden war, um einen leichten Einstieg zu gewähren und die Fantasie der Bieter anzuregen. Zumal eine eskalierende Finanzmarktkrise derzeit Rekordpreise für die besten Werke international gesuchter Künstler produzierte, wie immer, wenn die Investoren den klassischen Anlagen misstrauten und nicht wussten, wohin mit ihrem Geld.
Und dieses Gemälde hier war ohne jeden Zweifel ein solcher Bluechip . Wegen seiner herausragenden Qualität, weil nur drei aller anderen Scheherazade – Versionen in Öl gemalt waren und weil es das war, was die Auktionatoren mit leuchtenden Augen ›jungfräulich‹ nannten – ein Bild, das niemals wirklich auf dem Markt zu haben gewesen war.
Obendrein befand es sich in einem ziemlich guten Zustand, wie Robert in seinem Bericht dokumentiert hatte. Ein paar kuriose, aber nur kleine unfachmännische Farbrestaurierungen in den dunklen Partien, leichteste Verschmutzungen, das war schon alles. Das Bild hatte sich in der Familie Roeder großer Wertschätzung erfreut und war entsprechend behandelt worden.
Bis die Auktion wieder in Gang kam, ließ Robert seinen Blick auf dem sehr charmanten Rückendekolleté einer hübschen Endzwanzigerin ruhen, die keinen halben Meter vor ihm saß. Sieben der zwölf Telefonbieter hatten sich bisher beteiligt. Als sich der Preis der 5-Millionen-Marke näherte, stiegen vier von ihnen aus. Die übrigen drei wechselten sich mit ihren Geboten ab, bis die Versteigerung bei 5,6 Millionen wieder aus dem Rhythmus geriet. Eine der Mitarbeiterinnen schüttelte den Kopf, ihr Kollege in der zweiten Telefonreihe besprach sich lange mit seinem Kunden. Der Auktionator sah ihn fragend an.
Robert verließ die Stuhlreihe und lehnte sich im Seitengang an einen Pfeiler. Im Publikum entdeckte er eine Handvoll Leute mit Telefon am Ohr. Vermutlich waren es Händler, die Kunden vertraten, deren Namen nicht einmal dem Auktionshaus bekannt werden sollten. Dann vibrierte sein eigenes Handy in der Jacketttasche. Er zog es heraus und schaute auf das Display. Carsten Roeder.
»Wie sieht’s aus?«, erkundigte sich Roberts Studienfreund.
»5,6«, antwortete Robert leise. »Sie pokern gerade wieder. Hoffe ich jedenfalls. Willst du dranbleiben?«
»Nein. Ruf mich an, wenn es gelaufen ist.«
»Okay.« Robert drückte die Austaste.
Carsten Roeders Idee, die Scheherazade von ihm begutachten zu lassen, hatte Robert aus einem üblen finanziellen Engpass gerettet. Erst vor anderthalb Jahren hatte er seinen sicheren Job als Restaurator für zeitgenössische Kunst im Mönchengladbacher Museum Abteiberg gekündigt. Zu viel war geschehen, um dort weiter vor sich hin zu werkeln. Zusammen mit seiner damaligen Freundin, der Arnheimer Polizeiprofilerin Micky Spijker, hatte er einen Serienmörder zur Strecke gebracht, der seine Opfer in deutschen und niederländischen Museen zu Kunst verarbeitete. Beinahe wäre Robert selbst dabei draufgegangen. Dass bald danach in Amsterdam sein bester Freund direkt vor seinen Augen ermordet wurde, hatte sein Leben erneut erschüttert und ihm klargemacht,
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