Höhenangst
mich dabei gut fühle.
Ich küsse ihn und fühle mich plötzlich wieder beschämt. Heimlich blinzle ich zu den anderen Autos. Vor ihnen zu ficken ist eine Sache, aber vor ihnen intime Küsse auszutauschen, das hat eindeutig die Grenze überschritten.
Obwohl ich mich deswegen nicht hätte sorgen müssen.
Es ist merkwürdig, wie sich die Gesichter der Typen nach einem derart intensiven Erlebnis plötzlich verändern. Sie sehen verspielt und albern aus. Nicht mehr wie unheimliche Feinde, für die ich sie bei unserer Ankunft gehalten habe. Als ich von der Motorhaube steige und meinen Rock anstandshalber – zu wenig und zu spät – hinunterziehe, glaube ich, dass der hohe Himmel über mir aufbricht. Der Gesang der Vögel klingt überschwänglich, wie rauschender Applaus. Als ob eine Bühnenaufführung stattgefunden hätte, mit uns als Schauspieler, die sich nun nach der Vorstellung ausruhen. Ich widerstehe der lächerlichen Versuchung, eine Verbeugung zu machen, und gehe stattdessen langsam zur offenen Wagentür zurück. Eigentlich ist es schade, unsere neuen Freunde so bald nach unserer gemeinsamen Erfahrung zu verlassen, aber er ist Abend geworden und Zeit für die Heimfahrt. Ich schließe die Wagentür hinter mir mit einem Mix aus Bedauern und Erleichterung und werfe einen letzten Blick auf die Jungs.
Sie ähneln verträumten Cupidos; sie winken uns sogar zu, als wir abfahren, tippen mit einer Hand an ihre Baseballcaps, während sie einen postkoitalen Joint drehen.
Wir fahren zurück, den Berg hinunter, noch klebrig vom Sex und schwirrend von unserer Paarung. Ich habe das Fenster einen Spalt breit geöffnet, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Ein befreiendes Lüftchen weht über mein Gesicht. Ich schließe die Augen, während mich das Auto nach Hause schaukelt.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragt er freundlich.
Ich nicke und halte die Augen geschlossen. Wir fahren zurück zu den Wänden, die mich Tag für Tag gefangen halten. Heute habe ich einen Happen Freiheit genossen und habe noch den süßen Geschmack davon auf der Zunge.
Aber ich möchte mehr.
Er ahnt es. Ich weiß es, weil er alles über mich weiß, seit wir derart unzertrennlich zusammenwuchsen. Egal, was ich auch denke, er ahnt meine Gefühle im Voraus.
»Es ist in Ordnung, Honey. Wir werden es schaffen«, beruhigt er mich.
Ich wende mich ihm zu, öffne die Augen, sehe in sein Gesicht mit seinem süßen blauen Blick, als er mich zu beruhigen versucht.
Es ist nicht einfach für ihn, eine Freundin zu haben, die das Haus nicht verlassen kann. Die sich vor der Welt da draußen ängstigt. Die sich einschließen muss, um sich sicher zu fühlen, und die ihn bittet, sie jede Nacht ans Bett zu binden. Die darum bittet, sie festzuhalten und ihr die Dämonen auszutreiben, die sie bedrohen.
Vielleicht wird er mich eines Tages wieder nach draußen locken, auf den großen Spielplatz der übrigen Welt. Bis dahin fahren wir erst einmal nach Hause und halten Händchen über der Armstütze zwischen uns. Seite an Seite.
Die Doppelgängerin
Monica Belle
Ich habe ein einziges Mal mit Evangelina de Sevilla gesprochen. Mit diesem Flittchen.
Alles, was man über sie erzählt, ist wahr. Nun gut, fast alles. Sie lässt ihre Schoßhündchen im Flugzeug erster Klasse fliegen, und sie hat es tatsächlich hinbekommen, dass der Bundesstaat Florida ein Flugverbot über ihrer Strandhütte verhängt hat. Sie lässt sich von jedem »Miss de Sevilla« nennen. Wenn sie in einem Hotel übernachtet, erwartet sie, dass die Zimmer neben ihrem frei bleiben, und sie betritt das Hotel nicht, wenn kein roter Teppich ausgerollt wurde, flankiert von rosa Kerzen. Rot und Rosa, was für eine Mischung!
Das einzig Unwahre sind die Gerüchte über ihre abartige Sexbesessenheit. Zumindest glaube ich sie nicht.
Ich wusste immer, dass Evangelina mir ähnelt oder besser, dass ich ihr sehr ähnlich bin. Denn jeder lästige, kriecherische Widerling, der mich anmachen will, versucht es auf dieselbe blöde Tour:
»Hey, du könntest glatt für Evangelina de Sevilla durchgehen.« Oder noch dreister die Lügner: »Hi, Evangelina ... oh, Entschuldigung, ich habe Sie mit meiner Freundin Evangelina verwechselt.«
Dann gibt es noch diejenigen, die mir schmeicheln, weil sie denken, ich würde als ihre Doppelgängerin arbeiten. Die sich für verdammt clever halten, weil sie glauben, unsere Ähnlichkeit als Erste entdeckt zu haben.
Haben sie aber nicht. Denn ich habe tatsächlich als ihre
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